Wandernde
zum reichen Müller muß, dem gestern das viele sauere Bier
nicht gut gethan hat."
„Aber in einer Stund' ist vielleicht die Mutter lobt!"
jammerte das Mädchen.
„Man stirbt nicht so geschwind!" sagte der Mann gleich-
giltig, suchte sich aber dabei mit einem rohen Griffe von den
Händen des Mädchens, das ihn noch immer umklammert hatte,
los zu machen. „Und sterben wird sie heute oder morgen,
und der reiche Müller liegt mir näher, als Deine Mutter, für
die noch die Gemeinde die Leicheukosten tragen wird, und jetzt
laß' aus, dummes Mensch, oder ich schmeiß' Dich in den
traben!"
Die Lage der Dinge zn erkennen war nicht schwer für
Sepp, um so mehr, als in ihm die Erinnerung an den
Ignoranten Dorfbader, der nur jetzt dicker und hochmüthiger
schien, aufdämmerte.
„Armes Dirndl!" rief er dem Mädchen zu. „Laß' ihn
laufen! der kurirt ohnehin keine Katz'!"
Dieser Zuruf hatte dem Bader die Zornröthe in das
dumme, feiste Gesicht gejagt, und wüthend ließ er nun seinen
Groll an dem Mädchen aus.
Er stieß es mit dem Fuße von sich, daß es mit einem
Schrei zu Boden fiel.
Im selben Augenblicke aber fühlte auch schon der Bader
eine nervige Hand an der Gurgel.
Musikanten. 19 \
Sepp war empört über die Rohheit des Mannes und
vermochte es nicht mehr, den Trieb, dieses Individuum zu
züchtigen, zurückzuhalten.
Nachdem er den im Gesichte blau anlaufenden Bader eine
Sekunde lang derb geschüttelt, ließ er ihn los.
„Und nun lauf', böser dummer Hund", rief er dem nach ;
Luft Schnappenden zu, „sonst gelüstet's mich, Dich ordentlich
durchzutrischaken!"
Der Bader hielt es für gut, jede Auseinandersetzung zu
vermeiden und lieber der Warnung Folge zu leisten, denn eiligst
verfolgte er seinen Weg und verschwand rasch hinter einer langen
Reihe von Dornhecken.
„Wer bist Du, armes Dirndl?" fragte Sepp nun theil-
nehmend das Kind, das stumm und starr am Boden geblieben
war. „Wer ist Dein Mntterl? Wie heißt sie?"
Die Erinnerung an die Mutter weckte das Kind aus
seiner Ueberraschtheit über das Vorgefallene.
Thränen stürzten aus den Augen des Kindes und sich
vom Boden rasch aufraffend, stammelte cs schluchzend den
Namen der Mutter.
Als der Name genannt wurde, war Sepp weiß im Ge- ,
sichte geworden, wie der Meilenstein, neben dem Beide standen.
Auch aus seinen Augen kamen Thränen und die Lippen
schloffen sich krampfhaft, als wollten sie sich nicht mehr zum
Athmen öffne».
Dann faßte Sepp das Kind mit so heftiger Geberde an !
der Hand, daß es entsetzt aufschrie.
„Thu' mir nichts!" stöhnte flehend das Kind. „Laß'
mich nur zur Mutter!"
Sepp aber flössen die Thränen reichlicher über die Wangen !
und er zog das Mädchen näher an sich.
„Vroni heißt Du?" sagte er mit zitternder Stimme.
Das Mädchen nickte mit dem goldblonden Köpfchen, da-
bei aber immer starr auf den fremden Mann blickend.
Ohne weiter etwas zu sagen, hob Sepp das Mädchen
zu sich empor und bedeckte es mit Küssen.
Mißtrauisch versuchte das Kind, sich aus den Armen des
sonderbaren Menschen loszumachen.
Sepp aber schritt mit dem ängstlich widerstrebenden Kinde
auf den Armen den Weg fort, den das Kind gekommen war.
Es war ein seltsames Bild, den mühsam, aber doch so
eilig als möglich fortschreitenden Krüppel mit dem Mädchen
auf seinen Händen vorwärtseilen und dabei das Kind wieder-
holt küssen zu sehen, während die Thränen nicht aufhörtcn,
über die braune Wange des Mannes zu rollen.
„Zur Mutter gehen wir!" sagte er dabei schmeichelnd,
„Du hast wohl Mutterl recht lieb, mein gutes, armes Vronerl!"
„Zu Mutterl!" stotterte ihm das Kind nach, welches über
die Art des fremden Mannes, wie man sich denken kann, auf's
Höchste geängstigt war.
Erst als sie in die Nähe des Hauses kamen, in dem die
Stube war, worin des Mädchens Mutter lag, und nachdem
Sepp das Kind auf den Boden gelassen und ihm gesagt hatte,
es solle voraus hinein gehen, und einen „guten Besuch" melden,
3*
zum reichen Müller muß, dem gestern das viele sauere Bier
nicht gut gethan hat."
„Aber in einer Stund' ist vielleicht die Mutter lobt!"
jammerte das Mädchen.
„Man stirbt nicht so geschwind!" sagte der Mann gleich-
giltig, suchte sich aber dabei mit einem rohen Griffe von den
Händen des Mädchens, das ihn noch immer umklammert hatte,
los zu machen. „Und sterben wird sie heute oder morgen,
und der reiche Müller liegt mir näher, als Deine Mutter, für
die noch die Gemeinde die Leicheukosten tragen wird, und jetzt
laß' aus, dummes Mensch, oder ich schmeiß' Dich in den
traben!"
Die Lage der Dinge zn erkennen war nicht schwer für
Sepp, um so mehr, als in ihm die Erinnerung an den
Ignoranten Dorfbader, der nur jetzt dicker und hochmüthiger
schien, aufdämmerte.
„Armes Dirndl!" rief er dem Mädchen zu. „Laß' ihn
laufen! der kurirt ohnehin keine Katz'!"
Dieser Zuruf hatte dem Bader die Zornröthe in das
dumme, feiste Gesicht gejagt, und wüthend ließ er nun seinen
Groll an dem Mädchen aus.
Er stieß es mit dem Fuße von sich, daß es mit einem
Schrei zu Boden fiel.
Im selben Augenblicke aber fühlte auch schon der Bader
eine nervige Hand an der Gurgel.
Musikanten. 19 \
Sepp war empört über die Rohheit des Mannes und
vermochte es nicht mehr, den Trieb, dieses Individuum zu
züchtigen, zurückzuhalten.
Nachdem er den im Gesichte blau anlaufenden Bader eine
Sekunde lang derb geschüttelt, ließ er ihn los.
„Und nun lauf', böser dummer Hund", rief er dem nach ;
Luft Schnappenden zu, „sonst gelüstet's mich, Dich ordentlich
durchzutrischaken!"
Der Bader hielt es für gut, jede Auseinandersetzung zu
vermeiden und lieber der Warnung Folge zu leisten, denn eiligst
verfolgte er seinen Weg und verschwand rasch hinter einer langen
Reihe von Dornhecken.
„Wer bist Du, armes Dirndl?" fragte Sepp nun theil-
nehmend das Kind, das stumm und starr am Boden geblieben
war. „Wer ist Dein Mntterl? Wie heißt sie?"
Die Erinnerung an die Mutter weckte das Kind aus
seiner Ueberraschtheit über das Vorgefallene.
Thränen stürzten aus den Augen des Kindes und sich
vom Boden rasch aufraffend, stammelte cs schluchzend den
Namen der Mutter.
Als der Name genannt wurde, war Sepp weiß im Ge- ,
sichte geworden, wie der Meilenstein, neben dem Beide standen.
Auch aus seinen Augen kamen Thränen und die Lippen
schloffen sich krampfhaft, als wollten sie sich nicht mehr zum
Athmen öffne».
Dann faßte Sepp das Kind mit so heftiger Geberde an !
der Hand, daß es entsetzt aufschrie.
„Thu' mir nichts!" stöhnte flehend das Kind. „Laß'
mich nur zur Mutter!"
Sepp aber flössen die Thränen reichlicher über die Wangen !
und er zog das Mädchen näher an sich.
„Vroni heißt Du?" sagte er mit zitternder Stimme.
Das Mädchen nickte mit dem goldblonden Köpfchen, da-
bei aber immer starr auf den fremden Mann blickend.
Ohne weiter etwas zu sagen, hob Sepp das Mädchen
zu sich empor und bedeckte es mit Küssen.
Mißtrauisch versuchte das Kind, sich aus den Armen des
sonderbaren Menschen loszumachen.
Sepp aber schritt mit dem ängstlich widerstrebenden Kinde
auf den Armen den Weg fort, den das Kind gekommen war.
Es war ein seltsames Bild, den mühsam, aber doch so
eilig als möglich fortschreitenden Krüppel mit dem Mädchen
auf seinen Händen vorwärtseilen und dabei das Kind wieder-
holt küssen zu sehen, während die Thränen nicht aufhörtcn,
über die braune Wange des Mannes zu rollen.
„Zur Mutter gehen wir!" sagte er dabei schmeichelnd,
„Du hast wohl Mutterl recht lieb, mein gutes, armes Vronerl!"
„Zu Mutterl!" stotterte ihm das Kind nach, welches über
die Art des fremden Mannes, wie man sich denken kann, auf's
Höchste geängstigt war.
Erst als sie in die Nähe des Hauses kamen, in dem die
Stube war, worin des Mädchens Mutter lag, und nachdem
Sepp das Kind auf den Boden gelassen und ihm gesagt hatte,
es solle voraus hinein gehen, und einen „guten Besuch" melden,
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wandernde Musikanten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 58.1873, Nr. 1435, S. 19
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg