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Der neue Commandant.

Im Posthause der kleinen Festung X. — setzt ist sie
längst keine Festung mehr — ging es lebhafter zu, als ge-
wöhnlich. Der kleine bewegliche Postmeister flitzte hin und her
vor Freude über all die bunt gerückten Gäste, die sich sonst in
einem Jahr nicht bei ihm sehen ließen. Es war aber auch
heute für die Herrn Ofsiciere ein wichtiger Tag; denn der
lang verheißene Moment war gekommen, da der neue Comman-
dant die Mauern seines zukünfligen Reiches beglücken sollte.

„Er ist ein taktisch bedeutender Mann", sagte salbungs-
voll der jüngste Lieutenant Schneidauf, der heute, wenn das
überhaupt möglich war, mit noch viel größerem Stolze als
gewöhnlich die Würde seines Standes herauskehrte. Er hatte
auch Grund, stolz zu sein, denn er hatte als Fähnrich einmal
in der Residenz an derselben Tafel mit dem neuen Com-
mandanten gespeist. „Ein taktisch sehr bedeutender Mann,"
fuhr er fort, „höher» Orts sehr gut accreditirt und in unser»
Kreisen ivohl bekannt durch seine geistvollen Abhandlungen über
den Laufschritt geschlossener Truppcnkörper und über die Fornrir-
ung einer reitenden Infanterie."

„Und universell gebildet," krähte ein kleiner dicker Haupt-
mann, bei den, es ein Räthsel war, wie er seine wohlgerundeten
Beinchen in ihre engen Futterale pressen konnte, ohne daß diese
zerplatzten, „nicht nur streng wissenschaftlich gebildet, sondern,
wie ich mir habe sagen lassen, erfüllt von der hohen Bedeutung
unsres Standes und von den Pflichten, diesen nach außen zu
reprüsentiren, mit einem Worte ein Soldat, wie er sein soll,
ein Lebemann!" — „dlous verrons!“ rief da mit erhobener
Stimme ein langer, schwärmerischer Prcmieriieutenant mit ele-
gischen, lang gezogenen Tönen vom Fenster her, wo er bisher
schweigend gesessen hatte. „Ja, ja," fiel der kleine Hauptmann
ein, der jetzt auch seine Blicke hinausschweifen ließ, „da biegt
die alte Karrete um die Ecke."

Der Schall des Posthorns mischte sich jetzt in das müde
Klappern ans dem schlechten Pflaster, und schwerfällig stolperte
das alte, gebrechliche Fuhrwerk die Straße herunter.

Der Major, der seit der schleunigen Abberufung des letz-
ten Commandanten dessen Posten mit Weisheit und Umsicht
ausfüllte, hatte bisher schweigend in einer einsamen Sophaecke
gesessen, leise die Lippen bewegend und vor sich einen zerknitter-
ten Papierstreifen, dessen lange Litanei mit den Worten begann:

„Wir schätzen uns glücklich, an die Stelle des Mannes,
der lange Jahre hindurch mit ausgezeichneter Tüchtigkeit das
schwere Amt eines Commandanten dieser Stadt bekleidet hat,
eine ebenso große, wenn nicht noch größere militärische Kraft
treten zu sehen" u. s. w.

Jetzt aber beim Klange des Posthornes schnellte der Major
mit unglaublicher Federkraft aus seiner weichen Sophaecke em-
por, warf noch einen langen Blick auf sein Manuscript, schob
es eilig in die Brusttasche, rückte und zerrte an seiner Schärpe
und Uniform und trat mit kurzen, aber energischen Schritten
der Thüre entgegen.

„Brr ..." rief der Postillon den Pferden zu, — da stand
schon in schönster Ordnung das kleine Osficiercorps der guten
Stadt X. und im weiten Bogen prollrenirten wie zufällig
verschiedene neugierige Spießbürger und Spießbürgerinnen scheu
und neugierig um die altmodische Postkutsche herum.

Kaum hatte sich der Wagen seines hohen Reisenden ent-
ledigt, da trat mit einem kühnen Fechterpas, der den Conunan-
danten trotz seines strategischen Talentes fast zum Weichen
gebracht hätte, der Major ihm entgegen und begann, die Hand
auf dem Herzen, mit schallender Stimme: „Wir schätzen uns
glücklich, an die Stelle ..."

Jetzt war dem Commandanten ein Licht aufgegangen I
über die Absichten des Majors, und eben so energisch trat er

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