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26

Von Achten

Unser Verhältnis; hatte sich bald zur schönsten Vereinigung
zweier gleichgestimmter Seelen gestaltet. Es war die herrlichste
Zeit meines Lebens, als wir Abend für Abend in ihrem Zimmer
saßen, Thee tranken, Windbäckerei aßen und meine Gedichte
lasen. Ein einziger Mißklang war zwischen uns. Ich hätte
gerne Rum zum Thee genommen, sie aber fand, daß Rumtrinken
roh sei. Sic kochte überdies den Thee sehr schwach und dann

— war mein Organismus so schlecht construirt, oder war der
Thee, den sie benützte, so merkwürdiger Natur — ich bekam
jede Nacht Bauchkneipen. — Oft, wenn wir im schönsten
Lesen begriffen waren, sing es plötzlich an, mich zu zwicken und
zu zwacken, daß mir gräßlich zu Muthe wurde. Aber ich genirte
mich, ihr etwas z» sagen. Wenn ich's nimmer nushalten
konnte, sprang ich ans und verabschiedete mich rasch. „Du gehst
schon, Honors?" fragte sie zärtlich. — „Es ist neun Uhr, ich
bin für Deinen Ruf besorgt —" „Da kannst Du ruhig sein

— wenn Du nur nicht über die Thorsperre dableibst. Die
Thorspcrre ist der Rubicon des guten Rufs —" Das Zögern
machte mich wahnsinnig. „Doch, Amalie," sagte ich, „die
Leute sind schlecht. Adieu, mein Schatz —" ich wollte sie um-
armen, aber sie wies mich zurück, denn sic hielt Umarmungen
und Küsse für roh und nicht vereinbar mit den Gefühlen einer
zarten Seele. Mir war cs übrigens recht, denn ich wäre für
Nichts gestanden; ich eilte wie ein Besessener fort, nach
Hause. Das ging so acht Wochen fort. Eines Tages besuchte
mich Amalie. Ein Ungefähr wollte es, daß sie den Vorhang
vom Kasten zag und — meine Brüder erblickte. Sie stieß
einen Schrei aus und sank ohnmächtig zusammen. Ich wollte
ihr Hilfe leisten, aber kaum, daß ich in ihre Nähe kam, sprang
sie rasch auf und schleuderte mir einen Blick voll Entrüstung,
einen Blick der Verachtung, des Abscheues zu. „Gefühlloser
Barbar!" schrie sic, „er hat seine Kinder ermordet — Hilfe!"

— Dann rannte sie hinaus, ich sah sie nicht wieder. Alle

Briefe, die ich ihr schrieb, in tvclchen ich versuchte, ihr die
nöthigen Aufklärungen zu geben, blieben unbeantwortet. Alle
Versuche, sie zu sehen, sie zu sprechen, mißglückten — ich bin
unglücklich — verloren. O Amalie, was habe ich an dir
besessen, wo finde ich cs wieder! Wer hat ein Herz wie du,
das der leiseste Hauch schon zu Thrünen rührt, das nichts ist
als Liebe, Gefühl, Mitleid, das so frei ist von jeder gemeinen
Sinnlichkeit, Lustigkeit, Selbstsucht. Nie hat sic vom Hcirathen
gesprochen — o Amalie! Amalie!

Honors meinte und hemmte seinen Thräncnstrom erst, nach-
dem ich ihm bewiesen hatte, wie gefühllos cs sei, sich so zu
grämen, denn dadurch betrübe man die Andern, mache schlechte
Frisuren, schneide beim Rasircn n. s. tu., was offenbar Alles
Zeichen von Gefühllosigkeit.

„Geben Sic mir einen Rath, Doctor!" sagte er endlich.

„Aus den wenigen Andeutungen," erwiderte ich, „die Sic
mir über Amaliens Charakter gemacht, glaube ich, ihn ganz zu
erkennen — seien Sie versichert, es ist besser so, und —■
hcirathen Sie — Ihre schelmische Nachbarin."

„Herr Doctor, was glauben Sie von mir!?" fuhr er auf.

„Daß Sie ein sehr vernünftiger und liebenswürdiger Mensch
sein werden, wenn Sie Ihre Ueberschwänglichkeit, Ihre unklare.

der Siebente.

verworrene Gefühlsseeligkeit ablegen. Machen Sie's, wie Ihr
Vater, nehmen Sie ein Weib und zeugen Sie Kinder — aber
nehmen Sie kein gefühlvolles, wie er — nehmen Sic — Nctti.
Und nun Adieu!"

Im Hofe begegnete mir Netti. Ich grüßte sie, sic grüßte
tviedcr, ich blieb stehen und begann ein Gespräch. „Was halten
Sic von Herrn Lemaitre?" Sie wurde roth und schlug die
Augen nieder. „Haben Sie die Geschichte von Ihrem Zusammen-
treffen ans der Stiege wirklich selbst überall erzählt?" — „Ja,"
sagte sie leise. — „Das war nicht schön von Ihnen!" — „So,
warum?" fuhr sie geärgert auf, ihr Gesicht tvar über und über
roth und cs machte sich komisch, die schelmischen Augen zornige
Blitze schleudern zu scheu. — „Herr Lemaitre fühlte sich dadurch
sehr unangenehm berührt!" — „Ach, ich habe ja nichts erzählt,
als daß Herr Lemaitre ein so freundlicher, lieber Herr ist, daß
er gar hinauf in seine Wohnung gegangen ist, um mir Zünd-
hölzchen in den Keller zu bringen!" — „Und alles Andere?"
— „Die Leute häben's dazu geplauscht — o Gott! — glaubt

Herr Lemaitre wirklich —" Tropfen auf Tropfen schlich sich

ans ihren Augen, sie wandte sich verschämt um und wollte fort.
Ich faßte sic am Arme und hielt sic zurück. „Seien Sie
nicht thöricht, Kind," sagte ich, „Herr Lemaitre ist Ihnen
thcucr — nicht wahr?" — „Er ist so lieb und gut —" —
„Ja und — gehen Sie jetzt gleich hinauf zu ihm, so reizend,
wie Sic in Ihrer Betrübnis; aussehen; trocknen Sic die Thrünen
nicht — Herr Lemaitre hat kein Herz von Stein, glauben Sie

mir — gehen Sie in sein Zimmer und bitten Sie ihn um

Verzeihung." Sic lächelte schon wieder, wie ein Kind, das
vom Lachen zum Weinen nie weit hat. „Glauben Sie?" fragte
sie ungläubig. — „Sie werden sehen, daß es zum Guten ist;
thun Sic, wie ich Ihnen gesagt. Ich ginge- mit Ihnen, aber
so etwas macht sich am besten unter vier Augen ab." — Ehe
ich es hindern konnte, hatte sic einen Kuß auf meine Hand
gedrückt und lief nun rasch die Treppe hinauf.

Ich ging, lächelnd über mein Talent zur Hcirathsver-
mittlnng. Da ich nichts zu thun hatte, schleuderte ich durch
die Straßen langsam dahin, kam so in die Landengasse und
stand auf einmal vor dem Hanse Nr. 23. Ich betrachtete es
eine Zeitlang und wollte eben vorübcrgehen, als ich eine keifende
Stimme „Guten Morgen, Mamsell Mali!" rufen hörte.

Ich wartete. Aus dem Thorc trat eine hagere Mädchen-
gcstalt, schwarz gekleidet. Das mußte Honorü's gefühlvolle
Windbäckcrci-Liebhabcrin sein. Ein trockenes, farbloses Gesicht,
die Haare in einer geschmacklos einfachen Frisur, von einem
steifen Hute bedeckt. Alles war nüchtern an dieser Erscheinung.
Nur die Augen — Honors hatte recht gehabt — diese Augen
sagten viel. Sic sagten von einem schönen Herzen — aber
dieses Herz hat sich verirrt. In zehn Jahren iverdcn diese
Augen von bitterem Leid berichten, von dem Leid einer Mädchcn-
blume, die verwelkt, ohne geblüht zu haben, tvcil sie das Blühen
für Sünde, für schnöde Farbcnlust gehalten. In zehn Jahren
werden diese Augen einer armen, alten Jungfer nngchörcn, die,
schwarzgekleidet, mit finsterer Miene und stolzem Haupte, das
Bündel Bücher unter dem Arme, von Haus zu Haus wandert,
ihren Unterhalt mit Lectionengeben erwerbend, und die in dem
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