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Bill Dcadyc und

Die Kameraden des Verurtheilten waren natürlich ebenso
betrübt als erbost, daß ein Bursche, wie Bill, der so unüber-
trefflich zu verschlingen wußte, nun selbst von einem gefräßigen
Ungethüme sollte verschlungen werden. Sie entschlossen sich
indeß, der schaurigen Hinrichtung freiwillig beizuwohnen; denn
sie hatten sich hoch und theucr gelobt, insgeheim mit Revolvern
und Bowiemessern versehen, die geringste sich darbietende Gelegen-
heit zur Rettung ihres Gefährten ergreifen zu wollen.

Der bestimmte Tag war angebrochen; der Mannschaft
der Velocity wurde nach Anordnung des Radschah ein Platz
angewiesen, wo sie eine offene Aussicht ans alle Vorgänge hatten,
allein gewiß tausend einheimische Soldaten standen in der Nähe,
bereit zum Einschreiten, falls irgend ein Befreiungsversuch gewagt
würde. So schien die letzte Hoffnung vereitelt.

Das Ungcthüm, eine ungeheuere, trüg aussehende und aus-
gewachsene, schöngefleckte, ostindische Tigerschlange, lag zierlich,
in einen lockeren Knäuel gerollt, im hintersten Winkel eines
Behälters aus Bambusrohr zurückgezogen. Jetzt trat eine starke,
bis an die Zähne bewaffnete Wache an und führte den armen
Sünder in ihrer Mitte herbei. Bill sah verzweifelt schlecht
und niedergeschlagen aus; denn er hatte während seiner acht-
tägigen Gefangenschaft nur ein wenig Reis zu essen bekommen.
Es hungerte ihn also fürchterlich; ein anderes Gefühl kannte
der Wackere keineswegs.

Da man sich mit ihm der Richtstätte näherte, gab der Rad-
schah ein Zeichen, worauf eine fremdartige, wilde Weise von den
indischen Musikern angestimmt wurde. Jetzt stand Bill unmittel-
bar vor der Thüre des Schlangenkäfigs; im Nu wurde diese halb
geöffnet, der Missethäter wurde gewaltsam zu der Tigerschlange
hineingestoßen und die -Oesfnung hinter ihm sorgfältig zngcmacht.
Da in jenem Lande derlei Hinrichtungen öfter Vorkommen, so
sind stets Schlangen vorräthig, die man wenigstens einen Monat
lang hat hungern lassen. Diejenige, welche Bill zu verspeisen
hatte, war noch länger ausgehungert worden, weil seit geraumer
Zeit kein ähnliches grausames Schauspiel anfgeführt worden
war. Das bisher ruhig daliegende Thier tvar durch die Töne
der Musik und das Geräusch des hereingeschobenen Opfers auf-
gcstört worden; cs erhob den hübschen Kopf und schaute Bill
nicht eben ungnädig an, als wollte cs sagen: „Ich bin sehr
erfreut, dich zu sehen, mein nettes Bürschlein; ich will von
dir einen Fcstschmaus gleich einem Aldcrmann halten!" Die
Schlange wickelte sich langsam auseinander und näherte sich
zögernd dem Amerikaner, der sich kerzengerade aufgepflanzt hatte
und den unheimlichen Feind mit einem Blicke der überlegensten
Verachtung maß. Die Tigerschlange ließ sich durch Bill's
Herrscherblick nicht im Mindesten aus der Fassung bringen;
nachdem sie den verlorenen Mann einige Minuten lang an-
gestarrt, that sic einen jähen Sprung, packte Bill an der
linken Schulter und begann, sich zugleich rund um seinen
ganzen Körper zu ringeln. Bill stieß einen Schrei aus,
thcils aus Schmerz über den Biß des Scheusals, theils ans
Ucberraschung vor dem ungewohnten Angriffe. Doch Bill hatte
sich im Handnmwcndcn wieder gefaßt und rief lustig: „Bist
du da, bist du's auch wirklich? Ganz recht, wir Zwei können

die Riesenschlange.

! schon ein Weilchen mit einander scherzen, mein Liebchen!" —
®nm't wendete er sich blitzschnell seitwärts, ergriff das Unthier

kraft zu entfalten an. Es entstand da ein wahnsinniges Stampfen,
Ringen und Durcheinander, das die Zuschauer nicht mehr ver-
folgen konnten, und das sich auch nach einigen Sekunden den
Augen derselben durch die anfgewirbelte Staubwolke völlig ent-
zog, worin die beiden. Kämpfenden gehüllt wurden. Eine Viertel-
stunde verfloß, und das dumpfe Getöse schwieg, der nebelhafte
Dunst klärte sich allmälig ans, und alle Blicke der vielen
Tausenden waren fieberhaft gespannt gegen den Käfig gerichtet.
Ein Jeder erwartete höchstens noch zu sehen, wie Bill's Beine
aus dem Rachen der Riesenschlange herausstehen würden. — —
^öer, o blaues Wunder! Bill kauerte gemüthlich am Boden
und knusperte vergnügt an dem Schlangcnleib. Er hatte bereits

einen guten Theil davon hinabgewürgt. Ja, auf Ehre, Bill
fraß das ganze Thier bis auf die Schwanzspitze, die er geschickt
dem versteinerten Rndschah an die Nase schleuderte. Die Ein-
gebornen wurden sammt ihrem großsprecherischen Radschah von
panischem Schrecken erfaßt und liefen über Hals und Kopf auf

20 *
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Bill Deadye und die Riesenschlange"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Befreiung
Kampf <Motiv>
Matrose <Motiv>
Unglaube
Nahrungsaufnahme <Motiv>
Schlangen <Motiv>
Karikatur
Sieg
Menschenmenge <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 69.1878, Nr. 1738 , S. 155
 
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