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Die Badereise.
(Fortsetzung.)
Der also Jnterpellirte blickte wie ein zur Schlachtbank ge- !
schlepptes Lamm rathlos vor sich hin. Seiner ehrlichen Ein-
falt widerstand es, ein Versprechen zu geben, welches einzulösen
ihm unmöglich. Zum Glück erbarmte sich der Steuerrath, der
mit ungleich größerer Weltbildung jede Situation zu beherrschen
wußte, des armen Freundes, indem er ries: „Ihr müßt ihn heute
schon entschuldigen — er hat furchtbare Zahnschmerzen!"
Unter einem zustimmenden hm, hm, entfernte sich der Post-
commissär, welcher dies Mal sogar so viel Geistesgegenwart
besaß, um die Nothlüge durch ein rasch vorgehaltenes Taschen-
tuch plausibler zu machen! Eilends stürmte er dann davon. !
Bor der Hausthür machte er erst wieder Halt und wischte
sich den Schweiß von der gefurchten Stirn.
„Nun auch noch eine Weiber-Verschwörung", stöhnte er.
„Gott, wie soll das enden? Ja, der Professor und Apotheker
haben gut reisen; Beide besitzen ein hübsches Privatvermögen
von Haus aus, auch die Frauen waren wohlhabend — aber
wie's der Steuerrath ihnen gleich thun kann — das verstehe
ich nicht! Voriges Jahr war er sogar in der Schweiz! Man
möchte fast glauben, er besitze eine Wünschelruthe oder sei —
ein Alchymist!" . . .
Wahrend er nach Hause troddelte, tief versenkt in Melan-
cholie, fiel ihm ein, daß er ein neues Halstuch dringend be-
nöthige und trat in den. Laden eines Modewaaren-Magazins.
„Der Herr Postrath befehlen? Ein helles Halstuch — passend !
zur Saison — ? Malchen, die Kiste Litera A. Ein helles Hals- !
tuch für Herrn Postrath. Natürlich recht luftig und leicht — ;
für die Sommerreise! „Wohin werden der Herr Postrath denn
reisen, wenn ich fragen darf?" „Ich will dies Mal ein bischen Ost-
see-Luft schnappen.".
Eine Viertelstunde später langte der Ober-Postcommisfarius
— er trug zum Schmerz seiner poetisch angehauchten Tochter
Lina den überaus prosaischen Familiennamen Padde — vor
seiner Wohnung an und leider wurde sein Eintritt unter das
Schutzdach seiner Penaten sofort durch eine neue Erinnerung an
das bewußte, nunmehr für ihn bereits ominöse Thema getrübt,
indem seine drei Buben im Vereine mit anderen gleichalterigen
Gymnasisten auf der Hausflur ein Sängerfest improvisirt hatten
und den pater familias mit dem Vortrag des schönen Lortzing-
schen Liedes: „Ich war ein junger Springinsfeld und sprach,
besehen will ich mir die Welt" rc. begrüßten. Selbstverständ-
lich erklang vom höchsten Diskant bis zum tiefsten Baß aus
allen in das Treppenhaus ausmündenden Küchenfenstern das
gleiche Thema! Bis zur dritten Etage hatte die Reise-Epidemie,
selbst bis in die Kehlen der Köchinnen, Eingang gefunden, und sie
verriethen die Wünsche ihrer respektiven Herrschaften jedem Vorüber-
gehenden mit einem solchen Aufgebot von Lungenkraft, als sei
auch bei den unteren Stockwerksbewohncrn die große Frage
der Sommerreise noch eine schwebende. Endlich stand Herr
Padde oben vor dem kleinen Porzellanschilde, das seinen werthen
Namen und Titel trug. Selbstredend mußte er zweimal läuten,
denn die Köchin trillerte eben ein der Tagesstimmung ihrer Herr-
schaft Rechnung tragendes Wanderlied und überhörte in Folge
dessen das Klingeln des Herrn. „Sage meiner Frau", bemerkte
er im Vorübergehen zu dem drallen Mädchen, „ich sei etwas
unwohl und wolle meinen Thee drüben bei mir trinken!"
Damit schob er am Familienzimmer vorüber und schlich tief-
gebeugt in das Allerheiligste seiner bescheidenen Etage, in sein
Arbeits-, Bibliotheks-, Siesta- und Schlafzimmer.
„Auf diese Art halte ich mir wenigstens für heute den An-
griff meiner Katharina voin Halse", dachte er bei sich, „und
kann in aller Stille überlegen, was ich thun soll, um dem
kommenden Sturm zu stehen!"
Allein diese Hoffnung betrog den Aermsten gründlichst. Nach
kaum zehn Minuten erschien seine Gattin mit dem Thee in höchst
eigener Person und erkundigte sich zunächst mit unverkennbarer
wirklicher Theilnahme nach seinem Befinden, sobald ihr aber
darüber von ihrem Gemahl beruhigende Erklärungen abgegeben
waren, änderte sich ihr Ton und der Ober-Postcommissär er-
kannte zu seinem Schrecken, daß die Milch der frommen Denk-
art für dies Mal in seiner sonst so fügsamen und zufriedenen
Ehefrau sich in einem sehr sauren und zusammengeronnenen
Zustande befinden müsse. Mit einem sonst an ihr gar nicht
gewöhnlichen, kurzen und diktatorischen „gut, daß wir allein
find", setzte sie sich ihrem Gatten vis-a-vis.
„Spielen wir das Prävenire," dachte der Postbeamte,
„damit sparen wir uns zum mindesten eine viertelstündige
Litanei!" Und laut fügte er alsbald hinzu: „Ich ahne bereits,
weßhalb Du eine Unterhaltung mit mir wünschest, liebste
Katharina. Der Apotheker, dein Verbündeter, hat mich schon
in Kenntnis; gesetzt! Wahrhaftig, ich Hütte nimmer geglaubt,
daß eine so kluge und so verständige Frau wie Du sich würde
also von fremden Leuten aufhetzen lassen, um ihren Mann
durch Forderungen zu molestiren, die er doch ein für alle Mal
nicht erfüllen kann, weil — weil, nun weil ihm dazu das
nöthige kleine wie große Geld absolut fehlt!"
„Aufhetzen lassen? Molestiren?" recapitulirte mit bedenklicher
Ernstheit die kleine Frau, deren rundes, immer noch recht hübsches
Gesicht allgemach eine flammende Röthe überzog. Herr Padde
aber ließ sie nicht recht zu Worte konimen, sondern fuhr als-
bald fort: „Du weißt es ja, liebste Katharina, wie gern, wie
herzlich gern ich Dir und den Kindern diese Sommerfreudc
machte, allein für unser Einkommen sind das Utopien. Solche
Reise ist bei aller Sparsamkeit unter 6—800 Mk. für zehn
Menschen gar nicht zu bestreiten, auch wenn wir vierter Klasse
sahren wollten und Du weißt recht gut, daß unser „Soll und
Haben" Jahr für Jahr mit Null aufgeht und daß nichts er-
spart wird und werden kann, als unsere Lebensversicherungs-
policenkosten. Kannst Du mir einen stichhaltigen Grund an-
geben für Dein Begehren?"
„Einen? Oder Hundert für einen", ries Frau Padde leb-
haft aus. „Zunächst und vor Allem sind wir es unseren
Töchtern schuldig; Du weißt, Erna und Emma stehen in
heirathsfähigem Alter; das nöthigt uns, ein wenig mehr auf
gesellschaftliche Position zu halten, als es Deinerseits bislang
geschehen ist! Eine Badereise gehört nun aber so absolut zum
Die Badereise.
(Fortsetzung.)
Der also Jnterpellirte blickte wie ein zur Schlachtbank ge- !
schlepptes Lamm rathlos vor sich hin. Seiner ehrlichen Ein-
falt widerstand es, ein Versprechen zu geben, welches einzulösen
ihm unmöglich. Zum Glück erbarmte sich der Steuerrath, der
mit ungleich größerer Weltbildung jede Situation zu beherrschen
wußte, des armen Freundes, indem er ries: „Ihr müßt ihn heute
schon entschuldigen — er hat furchtbare Zahnschmerzen!"
Unter einem zustimmenden hm, hm, entfernte sich der Post-
commissär, welcher dies Mal sogar so viel Geistesgegenwart
besaß, um die Nothlüge durch ein rasch vorgehaltenes Taschen-
tuch plausibler zu machen! Eilends stürmte er dann davon. !
Bor der Hausthür machte er erst wieder Halt und wischte
sich den Schweiß von der gefurchten Stirn.
„Nun auch noch eine Weiber-Verschwörung", stöhnte er.
„Gott, wie soll das enden? Ja, der Professor und Apotheker
haben gut reisen; Beide besitzen ein hübsches Privatvermögen
von Haus aus, auch die Frauen waren wohlhabend — aber
wie's der Steuerrath ihnen gleich thun kann — das verstehe
ich nicht! Voriges Jahr war er sogar in der Schweiz! Man
möchte fast glauben, er besitze eine Wünschelruthe oder sei —
ein Alchymist!" . . .
Wahrend er nach Hause troddelte, tief versenkt in Melan-
cholie, fiel ihm ein, daß er ein neues Halstuch dringend be-
nöthige und trat in den. Laden eines Modewaaren-Magazins.
„Der Herr Postrath befehlen? Ein helles Halstuch — passend !
zur Saison — ? Malchen, die Kiste Litera A. Ein helles Hals- !
tuch für Herrn Postrath. Natürlich recht luftig und leicht — ;
für die Sommerreise! „Wohin werden der Herr Postrath denn
reisen, wenn ich fragen darf?" „Ich will dies Mal ein bischen Ost-
see-Luft schnappen.".
Eine Viertelstunde später langte der Ober-Postcommisfarius
— er trug zum Schmerz seiner poetisch angehauchten Tochter
Lina den überaus prosaischen Familiennamen Padde — vor
seiner Wohnung an und leider wurde sein Eintritt unter das
Schutzdach seiner Penaten sofort durch eine neue Erinnerung an
das bewußte, nunmehr für ihn bereits ominöse Thema getrübt,
indem seine drei Buben im Vereine mit anderen gleichalterigen
Gymnasisten auf der Hausflur ein Sängerfest improvisirt hatten
und den pater familias mit dem Vortrag des schönen Lortzing-
schen Liedes: „Ich war ein junger Springinsfeld und sprach,
besehen will ich mir die Welt" rc. begrüßten. Selbstverständ-
lich erklang vom höchsten Diskant bis zum tiefsten Baß aus
allen in das Treppenhaus ausmündenden Küchenfenstern das
gleiche Thema! Bis zur dritten Etage hatte die Reise-Epidemie,
selbst bis in die Kehlen der Köchinnen, Eingang gefunden, und sie
verriethen die Wünsche ihrer respektiven Herrschaften jedem Vorüber-
gehenden mit einem solchen Aufgebot von Lungenkraft, als sei
auch bei den unteren Stockwerksbewohncrn die große Frage
der Sommerreise noch eine schwebende. Endlich stand Herr
Padde oben vor dem kleinen Porzellanschilde, das seinen werthen
Namen und Titel trug. Selbstredend mußte er zweimal läuten,
denn die Köchin trillerte eben ein der Tagesstimmung ihrer Herr-
schaft Rechnung tragendes Wanderlied und überhörte in Folge
dessen das Klingeln des Herrn. „Sage meiner Frau", bemerkte
er im Vorübergehen zu dem drallen Mädchen, „ich sei etwas
unwohl und wolle meinen Thee drüben bei mir trinken!"
Damit schob er am Familienzimmer vorüber und schlich tief-
gebeugt in das Allerheiligste seiner bescheidenen Etage, in sein
Arbeits-, Bibliotheks-, Siesta- und Schlafzimmer.
„Auf diese Art halte ich mir wenigstens für heute den An-
griff meiner Katharina voin Halse", dachte er bei sich, „und
kann in aller Stille überlegen, was ich thun soll, um dem
kommenden Sturm zu stehen!"
Allein diese Hoffnung betrog den Aermsten gründlichst. Nach
kaum zehn Minuten erschien seine Gattin mit dem Thee in höchst
eigener Person und erkundigte sich zunächst mit unverkennbarer
wirklicher Theilnahme nach seinem Befinden, sobald ihr aber
darüber von ihrem Gemahl beruhigende Erklärungen abgegeben
waren, änderte sich ihr Ton und der Ober-Postcommissär er-
kannte zu seinem Schrecken, daß die Milch der frommen Denk-
art für dies Mal in seiner sonst so fügsamen und zufriedenen
Ehefrau sich in einem sehr sauren und zusammengeronnenen
Zustande befinden müsse. Mit einem sonst an ihr gar nicht
gewöhnlichen, kurzen und diktatorischen „gut, daß wir allein
find", setzte sie sich ihrem Gatten vis-a-vis.
„Spielen wir das Prävenire," dachte der Postbeamte,
„damit sparen wir uns zum mindesten eine viertelstündige
Litanei!" Und laut fügte er alsbald hinzu: „Ich ahne bereits,
weßhalb Du eine Unterhaltung mit mir wünschest, liebste
Katharina. Der Apotheker, dein Verbündeter, hat mich schon
in Kenntnis; gesetzt! Wahrhaftig, ich Hütte nimmer geglaubt,
daß eine so kluge und so verständige Frau wie Du sich würde
also von fremden Leuten aufhetzen lassen, um ihren Mann
durch Forderungen zu molestiren, die er doch ein für alle Mal
nicht erfüllen kann, weil — weil, nun weil ihm dazu das
nöthige kleine wie große Geld absolut fehlt!"
„Aufhetzen lassen? Molestiren?" recapitulirte mit bedenklicher
Ernstheit die kleine Frau, deren rundes, immer noch recht hübsches
Gesicht allgemach eine flammende Röthe überzog. Herr Padde
aber ließ sie nicht recht zu Worte konimen, sondern fuhr als-
bald fort: „Du weißt es ja, liebste Katharina, wie gern, wie
herzlich gern ich Dir und den Kindern diese Sommerfreudc
machte, allein für unser Einkommen sind das Utopien. Solche
Reise ist bei aller Sparsamkeit unter 6—800 Mk. für zehn
Menschen gar nicht zu bestreiten, auch wenn wir vierter Klasse
sahren wollten und Du weißt recht gut, daß unser „Soll und
Haben" Jahr für Jahr mit Null aufgeht und daß nichts er-
spart wird und werden kann, als unsere Lebensversicherungs-
policenkosten. Kannst Du mir einen stichhaltigen Grund an-
geben für Dein Begehren?"
„Einen? Oder Hundert für einen", ries Frau Padde leb-
haft aus. „Zunächst und vor Allem sind wir es unseren
Töchtern schuldig; Du weißt, Erna und Emma stehen in
heirathsfähigem Alter; das nöthigt uns, ein wenig mehr auf
gesellschaftliche Position zu halten, als es Deinerseits bislang
geschehen ist! Eine Badereise gehört nun aber so absolut zum