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Fenger, Ludvig Peter
Dorische Polychromie: Untersuchungen über die Anwendung der Farbe auf dem dorischen Tempel (Text) — Berlin, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.3957#0003
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U ber das, was man die antike Polychromie nennt, d. h. eigentlich ganz einfach die Anwendung
der Farben in der Bau- und Bildhauerkunst der Alten, ist so viel geschrieben, dass demjenigen, der
noch etwas hierüber vorbringen möchte, zu Muthe sein muss wie Einem, der in einem Streite den Mund
aufthut, wo die Argumente längst angefangen haben knapp zu werden und die Zuhörer schon müde sind,
ohne dass auf Einigkeit noch eine Aussicht ist. Wie ist die Frage aufs Neue kurz und bündig zu stellen,
und wie vermeidet man, sich in Einzelheiten zu verlieren? Sind die alten Autoren nicht alle heran-
gezogen worden, während die Künstler uneinig waren über die Farbenspuren, die gefunden sein sollten?
Haben wir nur auf neue, glückliche Funde zu warten, oder muss nicht vielmehr Alles, was sich über
antike Polychromie sagen lässt, eine bessere oder schlechtere Wiederholung sein von dem, was schon
früher vielmal darüber gesagt worden ist?

So würde man freilich fragen können. Aber wie gross auch die Ungewissheit und die Uneinigkeit
noch immer sein mag, die Zeit hat sich geändert. Während im Anfange dieses Jahrhunderts, als diese
Frage zuerst aufkam, künstlerische Mode und ästhetisirende Gelehrsamkeit sich sträubte, in Architektur
und Plastik den leuchtenden Farben auch nur das geringste Zugeständniss zu machen, ist jetzt Alles anders
geworden. In unsere Kunst sind die Farben wieder siegreich eingezogen, und der Gelehrten dürfte es
heutzutage nur wenige geben, die nicht zugeben wollen, dass die Alten zu verschiedenen Zeiten
und auf verschiedene Weise, wie in der Architektur so auch in der Plastik, die Farben angewendet
haben. Wenn aber dem so ist, dürfte wohl die allgemeine Debatte über die antike Polychromie für
abgeschlossen anzusehen sein.

Wie schon von Andern hervorgehoben, müssen wir, wenn von einer Farbenanwendung die Rede
ist, auch innerhalb jeder einzelnen Stilart zwischen älterer und jüngerer Kunst genau unterscheiden.
Die antike Polychromie — um diese halb missverstandene griechische Benennung beizubehalten —
zerfällt genauer betrachtet in ägyptische, mesopotamische, griechische — letztere vielleicht zugleich in
dorische und ionische, jedenfalls in eine frühere und spätere — und griechisch-römische Polychromie.
Wir werden also eine Reihe kaum noch in Angriff genommener Einzeluntersuchungen vornehmen müssen,
ehe wir daran denken können, für das ganze weite Gebiet der antiken Kunst allgemeinere Regeln in
dieser Beziehung festzustellen. Unter diesen Untersuchungen giebt es aber keine, bei welcher grössere
Sicherheit und Gewissheit zu wünschen wäre, als diejenige über die Verwendung der Farbe am dorischen
Tempel und den Skulpturen, womit dieser ausgestattet war. Die Farbe hat hier eine so grosse Rolle
gespielt, dass wir uns weder von des Tempels Aussehen im Ganzen noch von der Wirkung vieler Einzel-
heiten eine deutliche Vorstellung machen können, wenn wir von der Farbe absehen. Und eben weil wir
an den athenischen Tempeln Skulpturen haben, zu welchen wir als zu dem Besten von demjenigen, wTas

Fenger, Dorische Polychromie. 1
 
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