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Fenger, Ludvig Peter
Dorische Polychromie: Untersuchungen über die Anwendung der Farbe auf dem dorischen Tempel (Text) — Berlin, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.3957#0038
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— 36 —

Wie dem auch sei, müssen wir wohl zugeben, dass die oben angedeutete Farbenabstraction und
ein allmählicher Uebergang von dem ägyptischen Dunkel-auf-Hell zu dem entgegengesetzten Hell-auf-
Dunkel in der assyrischen wie in der phönikischen Kunst stattgefunden haben kann, und dass die
griechische Kunst von dieser asiatischen Decorationsweise, die sie durch Sachen in Elfenbein, Holz u. A.
kennen lernte, beeinflusst gewesen sein kann. Mit den Elfenbeinsachen wurde ja auch die Enkaustik
importirt. Auf der andern Seite darf man nicht übersehen, dass eine ähnliche Einwirkung von Aegyptens
farbigen Reliefs mit weissem Grunde wenigstens mittelbar durch Phönikien immer möglich bleibt. Wie
verhielt sich die griechische Kunst? Fing sie ganz naturalistisch mit farbigen Sculpturen an und kam
die Abstraction erst allmählich? Fing sie irgendwo unter einer stärkeren Einwirkung von Aegypten,
anderswo unter einer stärkeren Einwirkung von Asien an, oder wie sonst?

Als etwas G-egebenes wird man es wohl nehmen müssen, dass auch iu der griechischen Kunst
das Relief im engsten Zusammenhang mit der Flachmalerei oder der colorirten Zeichnung stand. Beide
Kunstarten entwickelten sich gleichzeitig und gingen der eigentlichen Malerei, der Malerei mit Licht
und Schatten, voraus. Diese ist eine griechische Erfindung, kaum älter als die höchste Blüthe der
griechischen Sculptur. Leider müssen wir gestehen, dass unsere Kenntniss von dieser Entwickelung nur
eine sehr spärliche ist. Ob Polygnot nur Flachmaler war, oder ob er schon eine weitere Entwickelung
der Malerei mit Licht und Schatten bezeichnet, ist wohl bis jetzt nicht ganz entschieden. Und wie
verstehen wir die Nachricht des Plinius, dass die älteren griechischen Figurenmaler nur von den vier
Colores austeri Roth, Gelb, Schwarz und Weiss Gebrauch machten? Gilt dies nur der Carnation der
Figuren oder der Farbenanwendung im Ganzen? Es ist einleuchtend, dass die Beantwortung dieser
Fragen auch die grösste Bedeutung für die Anwendung der Farben bei den Sculpturen haben muss. Wir
sind ja darauf angewiesen, uns unsere Vorstellungen von der griechischen Malerei hauptsächlich nach
griechischen bemalten Vasen zu bilden, in deren Decoration die genannten vier Farben, und am häufigsten
nur diese, vorkommen. Ist es ein Zufall, dass die vier Vasenfarben mit den colores austeri identisch sind
ein Zufall, der in der Beschränktheit der Palette des Vasenmalers seinen Ursprung hat? Oder liegt
hierin, dass man zu jener Zeit nur diese Farben, die wir ja auch von den Tempeldecken und andern
Sachen von gebrannter Erde, z. B. den Funden aus den alten Begräbnissplätzen Roms kennen, anwenden
konnte und wollte?

Die letzte Annahme trägt das Bedenken in sich, dass man hierdurch die Anwendung von zwei
Hauptfarben des Spectrums, Blau und Grün, aufgeben muss und sich in Folge dessen genöthigt sieht,
entweder mit einem neueren Gelehrten*) einen früheren Mangel an Farbensinn voraussetzen, oder eine
Armuth an Farbstoffen, die sich gewiss nicht mit dem lebhaften Handelsverkehr zwischen Griechenland
und dem Orient, der uns überliefert ist, verträgt. Auch scheinen die Triglyphen des dorischen Tempels
ja von Alters her blau gewesen zu sein; warum hätte man denn diese Farbe nicht anwenden sollen, wenn
nicht als zerstossener Lapis lazuli oder ägyptische Glasfritte, so doch als vegetabilischer Stoff, z. B. Waid,
der ja ohne Zweifel vielfach in unserem Welttheil angewandt ist zur Färbung von leinenen oder wollenen
Stoffen wie zum Tattowiren (bei den Galliern), ehe der Indigo bekannt wurde.

Dann haben wir ja auch in den etruskischen Grabgemälden eine andere Quelle für unsere Kennt-
niss der älteren griechischen Malerei und mit unseren Wahrnehmungen hierüber scheint der Ausschluss
der blauen und grünen Farben ganz unvereinbar, namentlich spielen das Blau und das Blaugrau neben
dem Schwarz eine sehr bedeutende Rolle in den Grabgemälden, und in diesen so verschiedenen Farben

*) A. Geiger: Ueber den Farbensinn der Urzeit und seine Entwickelung.
 
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