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Fenger, Ludvig Peter
Dorische Polychromie: Untersuchungen über die Anwendung der Farbe auf dem dorischen Tempel (Text) — Berlin, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.3957#0040
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immer die Farbe an dem Nackten als gänzlich ausgeschlossen zu betrachten sein, aber die meisten dieser
Statuen gehören einer verhältnissmässig späteren Zeit an, und die weissen Mannskörper, wenn sie wirklich
vorkommen, erklären sich aus einer andern künstlerischen Anschauung, die sich nach und nach
geltend machte.

Ausser den bekleideten Götterstatuen, die in den Tempeln als Gegenstände der Anbetung oder
als Weihgeschenke vorkamen, versuchte sich die griechische Kunst an menschlichen Figuren, theils Grab-
figuren, theils Ehrenstatuen für die Sieger in den öffentlichen Spielen. Die grosse Bedeutung
dieser Figuren für die Naturauffassung und den künstlerischen Blick der Griechen im Ganzen unterliegt
keinem Zweifel; sie mögen auch die Emancipation der Sculpturen von der Farbe befördert haben.
Theils erkannten nämlich die Griechen während ihres energischen Ringens mit der Form, dass die
künstlerische Illusion sich auch ohne Farbe hervorbringen lässt, theils wurden sie durch die Darstellung
nackter Athletenfiguren genöthigt, wenigstens den Contrast grosser Farbenmassen aufzugeben und die An-
wendung der Farbe auf Augen, Haar u. dgl. zu beschränken. Die Griechen fertigten ja auch schon früh
Athletenstatuen in Bronze, wo nur die Einlagen oder Verzierungen von Gold, Silber, Emaille, Glas,
Elfenbein u. dgl, vielleicht gewisse Legirungen oder Oxydationen noch an die Farbe erinnern.

Steigen also gewisse Statuen, wie z. B. der teneatische Apollo, von ihrer früheren vermeintlichen
Götterwürde ins menschliche Leben als Athleten- oder Grabstatuen hinab, dann bleibt es ja fraglich, in
wiefern bei ihnen eine ursprüngliche Bemalung vorauszusetzen ist. Was Augen, Haar, Lippen u. s. w.
betrifft, dürfen wir es wohl getrost wagen; dass man durch irgend eine Beize das Weiss gemildert habe und
dadurch der Natur näher gekommen sei, scheint nicht unglaublich. Wir brauchen nicht an eine unserm
Gefühl widrige blassrothe Fleischfarbe, noch an eine zu weit getriebene Carnation zu denken. Wenn
der transparente Marmor einen schönen gelbbraunen Ton erhielt, würde er am besten den Eindruck des
männlichen Körpers wiedergeben. Einige Grabreliefs haben entweder wirkliche Farbenspuren gezeigt
oder verschiedene Speculationen über eine etwaige Farbenanwendung veranlasst. Man hat so in den
sehr alterthümlichen spartanischen Reliefs eine Nachahmung von Holzschnitzereien sehen wollen und
zu ihrem Verständnisse einen farbigen Grund für nothwendig erachtet. Mag sein, aber man hat keine
Farben gefunden, und wird folglich hieraus keinen Beweis für oder gegen die Bemalung ziehen können.

Gehen wir weiter und betrachten die beiden Hauptwerke aus der Zeit der Pisistratiden, die
Stelen des Aristion und des Lyseas, so haben wir es wahrscheinlich mit einem ganz bemalten Relief
zu thun. Von der Aristionstele verlautet, dass der Grund roth war, wie auch der Speer, das Unterkleid
und die Panzerklappen, die wahrscheinlich von Leder waren; dagegen war der Harnisch, der Helm und
die Beinschienen schwarzblau mit rothen und weissen Bändern über dem Harnisch; das Haar war
braunroth, Lippen und Augen gemalt. Wenn man sich nur auf die rothe Farbe verlassen darf, war das
Relief ja ganz mit Farben gedeckt, denn ohne Farbe lassen sich schwerlich das Gesicht, die Arme und
Beine denken. Wir haben es also hier mit einer reicheren Färbung als der ägyptischen zu thun.

Hätte man sich mit dem Grund getäuscht und wäre dieser weiss, so lässt sich doch jedenfalls der
farbige Grund an der Lyseasstele schwerlich in Abrede stellen. Der Chiton war roth, die Säume des
Mantels farbig, wie auch das Haar, die Augen u. s. w.

Wenden wir uns von diesen alterthümlichen, etwas steifen Grabreliefs mit Einzelfiguren zu
den späteren, welche in die Zeit des Phidias fallen, mit Kampf-, Abschieds- und Todtenmahl-Scenen,
dann haben wir hinsichtlich dieser leider keine so bestimmten Angaben von Farbenspuren, als be-
züglich der früheren. Doch Farben sind bezeugt, die architektonischen Rahmen zeigen sich für ge-
 
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