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Fenger, Ludvig Peter
Dorische Polychromie: Untersuchungen über die Anwendung der Farbe auf dem dorischen Tempel (Text) — Berlin, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.3957#0045
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— 43 —

Augenblick vergessen, -während gleichzeitig das Vermögen des Künstlers mit dem Schatten zu malen in
dem schönen Halblichte zu der reichsten Entfaltung kommt.

Denn dass der Platz, welchen der Fries einnimmt, für die Wirkung des Reliefs ungünstig, und dass
dies eben darum der Farbe bedürftig sein sollte, kann ich, der ich in Athen war und den westlichen
Fries an Ort und Stelle bewundert habe, durchaus nicht zugeben. Wie Thorwaldsen es liebte, seine Reliefs
im Atelier an der scheinbar ungünstigsten Stelle anzubringen: unter den Fenstern, so glaube ich, würde
Phidias an dem ganzen Parthenon für seinen Fries keinen besser geeigneten Platz haben finden können,
als im Halbdunkel des Pteron.

Von den obigen Voraussetzungen ausgehend, würde man zuerst fragen können, ob die Figuren des
Frieses denn nicht monochrom waren, d. h. weiss auf blau. Wenn man aber den Versuch macht,
nimmt es uns sogleich Wunder, dass der Westfries sich anders zu dem blauen Grunde verhält, als
namentlich der Süd- und Nordfries, zweitens überzeugt man sich, dass die Reiteraufzüge um nicht wie
abgeplattet und angeklebt auszusehen, mehr Farbe bedürfen, endlich dass man eine gewisse perspectivische
Wirkung erreicht, wenn man die Pferde und die Menschen abwechselnd hell und dunkel, oder farbig
und weiss nebeneinander stellt.*)

Ich meine daher, wir thun am besten, uns zuerst den Grund als tiefblau zu denken, dann die
Figuren und Pferde hauptsächlich weiss und braungelb in verschiedenen Abstufungen, endlich nicht alle,
aber doch nicht wenige Kleider farbig mit weiss wechselnd in hellen leuchtenden Tönen: rosenroth,
meergrün, violett u. s. w., so dass die Figuren immer hell auf dunklem Grunde stehen.

Es versteht sich von selbst, dass, wenn man eine beinahe totale Bemalung der Giebelgruppen und
Metopen, ja sogar des Parthenon-Frieses zügiebt, dieselbe Möglichkeit mit Rücksicht auf den Fries des
Theseion eingeräumt werden muss, ganz abgesehen von der Frage, welcher der beiden Tempel der ältere sein
möchte. Meiner Ansicht nach bezeichnet das Flachrelief hier unter dem Pteron einen künstlerischen
Fortschritt, der, einmal gemacht, schwerlich zurückgenommen sein dürfte, und ich kann nicht umhin zu
fragen, ob wir nicht in diesem fortlaufenden Fries unter dem Pteron eine ionische Neuerung am dorischen
Tempel sehen dürfen, eine Neuerung, die vielleicht von anderen bezüglich Farbengebung, Ornamentation
u. s. w. begleitet war.

Hiergegen wird man vielleicht einwenden, dass eine solche Zweitheilung der griechischen Kunst
nicht zulässig sei; man thue besser, von der athenischen Kunst zu reden, die an der Spitze der gesammten
griechischen Kunstentwickelung vorging.

Mag sein — aber diese Benennungen sind doch nicht modern, sie sind altgriechisch, von dem Volke
selbst angenommen, namentlich für die zwei Formen des Tempelbaues, die östlich und westlich vom
ägeischen Meere entstanden sind. War der Tempel der Ostgriechen denn nicht vollständig entwickelt, ehe
Athen anfing, seine glänzende Rolle zu spielen, und behielt nicht der Tempel der Westgriechen zum
grossen Theil seine Merkmaie, unter anderen seine traditionelle Schwere, auch nachdem man in
den Städten Siciliens und Grossgriechenlands in Bewunderung für attische Feinheit in Dichtkunst, Philo-
sophie und Bildkunst wetteiferte? Aber diese allgemeine griechische Kunstentwickelung zu verfolgen,
wenn auch nur im Grossen und Ganzen, in Städten wie Korinth und Syrakus, in Antiochia und Alexandria
gehört ja noch und wird wohl immer wegen der fehlenden Monumente zu den unerfüllten Wünschen ge-
hören.

*) Wie auf der capuanischen Vase: Mon. ined. X., XXV.
 
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