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Polska Akademia Umieje̜tności <Krakau> / Komisja Historii Sztuki [Hrsg.]; Polska Akademia Nauk <Warschau> / Oddział <Krakau> / Komisja Teorii i Historii Sztuki [Hrsg.]
Folia Historiae Artium — NS: 11.2007(2008)

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Boesten-Stengel, Albert: Himmelfahrt und Höllensturz?: Bilderfindung und Typengeschichte in Michelangelos Jüngstem Gericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.20622#0046
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des Schiilers geantwortet, ais eine Rótelzeichnung
fur dasselbe Thema in den Uffizien44 tatsachlich
erhalten sei: „Michelangelo’s efforts were entirely
directed at making his drawing a ‘mirror’ in which
the pupil could see his own thoughts reflected in
clarified form”45.

Die Zuschreibung der Uffizien-Zeichnung an
Tommaso de Cavalieri ist keineswegs zwingend.
Zu denken ware auch an einen anderen Schiller
Michelangelos, namlich Antonio Mini46. Gleichwohl
wird man Perrigs Hypothese weiterhin zum AnlaB
nehmen, nach Indizien des zeichnerischen Dialogs
von Lehrer und Schiller Ausschau zu halten.

Im Fali des Tityos-Blattes gelange ich zu einer
anderen ais den bisherigen Losungen. Die Auferste-
hungsskizze (Abb. 6) halte ich fur eine zeichnerische
Manifestation des Meisters. Sie gibt treffsicher Aus-
kunft iiber die raumliche Disposition und Handlung
beider Figuren. Beide veranschaulichen Schwere und
Aufstreben zugleich. Namentlich die linkę vereint
dabei kontrastierende Richtungsindikatoren und
scheint so mit einer unsichtbaren Umgebung zu
kommunizieren. Ihre eine Hand zielt hoch hinauf,
ais zeige sie auf ein Objekt in groBe Hohe, wah-
rend der Kopf nach unten gewandt ist, wo wir den
Adressaten ihres Flinweisens vermuten sollen. Die
andere Hand unterstreicht diese Botschaft noch in
mehreren ilberlagerten, aber doch unterscheidbaren
Alternativen, die zugleich der abschlieBenden Ba-
lance der Pose gelten.

44 Florenz, Uffizien, GDSU Inv. 611E, Rótel, 31 X 22,5
cm, an den Randem beschnitten, Blatt erganzt; die Zuschrei-
bung an Cavalieri stammt von A. Perrig (wie Anm. 40),
S. 44, auch 84f. und 126, Anm. 85; die Zeichnung wird bei
de Tolnay (wie Anm. 30), Bd. 2, Nr. 298recto, ais „Kopie”
bestimmt: Aber wonach?

45 Perrig (wie Anm. 40), S. 44.

Ein allgemeines, technisches Kriterium, nach dem
zu entscheiden ware, in welche Richtung der Vorgang
des Pausens erfolgte, ist bisher nicht bekannt. Doch
ist die yorliegende Skizze in der funktionalen Stim-
migkeit der atti und moti so ungezwungen, das nichts
darin eine Abhangigkeit von der yorderseitigen Figur
des Tityos verrat. Anders im umgekehrten Fali. Indem
der Zeichner den Tityos wenigstens teilweise in die
Umrisse der Auferstehungsfigur zwang, brachte er
genau die unbeąueme, „gezwungene“ Pose hervor,
die zu dem Thema des gefesselten Titanen paBt.

Michelangelo demonstrierte dem Schiller die
staunenswerte Macht der Kunst, durch geringe,
fast unmerkliche Veranderungen ganz entgegenge-
setzte Wirklichkeiten zu evozieren. Kaum mehr ais
die Drehung von der Vertikalen in die Horizontale
yerwandelt eine Figur der Auferstehung in eine der
Qualen und der Verdammung. Beide bleiben spie-
gelbildlich die zwei Ansichten des einen Blattes.

Diesem Experiment legte der Kiinstler allerdings
nicht, wie Hartt datierte, eine weit zuriickliegende,
sondern eine ganz aktuelle Skizze zugrunde. Sie ist
sicher am Thema der Auferstehung Christi orientiert,
scheint aber einige ihrer Motive auf das der Erwek-
kung und Auferstehung der Toten zu iibertragen — daher
die fur eine Auferstehung Christi ungewohnlichen
kommunikativen Gesten. Das Blatt zeugt meines
Erachtens dafiir, daB Michelangelo, ais er den Tityos
erfand, bereits an den Entwiirfen fur das Gerichtsbild
arbeitete.

46 Die Figurenskizze auf der Riickseite des Ufflzien-Blattes
erinnert, wie auch de Tolnay vermerkt, an die Komposition
von Michelangelos verlorener, nur durch Kopien bekannter
Leda mit dem Schwan, die er 1529-30 auf Verlangen Herzogs
Alfonso I. d’Este gemalt, dann aber zusammen mit dem Kar-
ton seinem Schiller Antonio Mini geschenkt haben soli. Mini
nahm wohl beide, Karton und Gemalde, mit nach Frankreich,
wo der Maler Rosso Fiorentino sie kopierte.
 
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