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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0014

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Einleitung

Forschungsgeschichte

Die Geschichte des Schreibens über die Bilderbauten des
barocken Rom reicht bis in ihre Entstehungszeit zurück.
Von Beginn an unterlag dieses Schreiben einer Tendenz,
die syntagmatischen Verflechtungen der Bilder zu ver-
nachlässigen oder gar zu unterdrücken.4 Bis hinein in die
Ausschnitte graphischer und photographischer Repro-
duktionen wurde und wird die Fiktion erzeugt, einzelne
Bildschöpfungen von autonomer Selbstgenügsamkeit vor
sich zu haben.5 Einer der Hauptgründe für diesen „sezie-
renden Blick" ist im langlebigen Erbe produktionsästheti-
scher Paradigmen zu suchen. Allen voran haben tief ver-
wurzelte Vorstellungen vom Künstler als zentraler Urhe-
berinstanz und vom Kunstwerk als Manifestation künst-
lerischer Originalität entscheidend dazu beigetragen, dass
die Bilderbauten immer wieder in ihre Bestandteile zerlegt
wurden. Denn Entwurf wie Ausführung dieser komple-
xen Ensembles waren in hohem Maße arbeitsteilig, be-
durften einer Vielzahl künstlerischer Hände aus den
unterschiedlichsten Sparten. Das Ganze der Ausstattung
war dann immer ein Kompositum, das dem herkömm-
lichen Paradigma von Autorschaft und Werkeinheit nicht
entsprechen konnte.b

Nun gab es neben den hier skizzierten Wegen schon
früh ein Deutungsmodell der Barockforschung, welches
gerade das Ensembleprinzip auf seine Fahnen schrieb:
„Gesamtkunstwerk", „unity of the Visual arts" und „bei
composto" lauten die entsprechenden Stichworte.7 Ein
genauerer Blick auf die Anwendung solcher Konzepte
lässt jedoch entscheidende Defizite erkennen: Interessan-
terweise werden sie für die römische Kunstpraxis nahezu
ausschließlich am Fall Gian Lorenzo Berninis diskutiert,
der im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen bei vie-
len Projekten zumindest entwerfend die Fäden aller drei
Künste in Händen hielt.8 Die Perspektive bleibt unter die-
sen Vorzeichen weiterhin eine produktionsästhetische:
Berninis intermediale Synthesen geraten primär als geni-
ale Erfindung und virtuose Regelverletzung in den Blick.
Erst in der jüngeren Bernini-Forschung lassen sich Ansät-
ze erkennen, die sich stärker von einem rezeptionsästhe-
tischen Erkenntnisinteresse leiten lassen: das Miteinander
der Gattungen wird dort als kommunikative Strategie ge-
deutet, als Versuch, das Verständnis erzählter Handlun-
gen zu steuern und zu strukturieren.4

In der Orientierung am Künstler als beherrschender
Bild-Origo sehe ich das Erbe der älteren Historiographie
am Werk, die einen Großteil der beteiligten Personen
durch das Raster des Vergessens fallen lässt, um auf die-
ser Grundlage erst ihre Helden konstruieren zu können.

Die Kritik an dieser Hinterlassenschaft ist natürlich nicht
neu. Gleichwohl scheint sie mir in Bezug auf die viel-
schichtigen kommunikativen Abläufe zwischen Künst-
lern, Auftraggebern, Betrachtern und den Bildern noch
nicht grundsätzlich genug formuliert worden zu sein.
Wichtige Impulse in diese Richtung gehen von einer jün-
geren Forschungsrichtung aus, die sich vornehmlich für
den Anfang der von mir untersuchten Zeitspanne inter-
essiert. In den 1580er und 1590er Jahren wurden einige rö-
mische Kirchen mit umfangreichen Bildzyklen ausgemalt
- ich nenne nur das Beispiel Santo Stefano Rotondo - die
sich durch eine Anhäufung grausamer Marterszenen und
eine betont „krude", vereinfachende Darstellungsweise
auszeichnen. Als einer der ersten hat Herwarth Röttgen
dafür plädiert, diese lange Zeit abgewertete und belä-
chelte Spielart des Spätmanierismus als eine überlegt ge-
wählte „Bildsprache" zu verstehen, als möglichst allge-
meinverständliches Propagandamittel der katholischen
Kirche nach dem Tridentinum.1" Die Bilder waren damit
von dem Druck entlastet, allein als Meisterwerk funktio-
nieren zu können. In der angelsächsischen und italieni-
schen Forschung ist dieser Ansatz auf vielfältige Weise re-
zipiert und ausgebaut worden." Dabei spielt auch das
Stichwort „Early Christian Revival", also die bewusste
Rückkehr zu den einfachen Bildformeln der frühchrist-
lichen Zeit, eine wichtige Rolle.12

Ein hohes Bewusstsein von der Raumbindung der Bil-
der in den römischen Sakralräumen der frühen Neuzeit
zeichnet Stefan Kummers Untersuchung über Anfänge
und Ausbreitung der Stuckdekoration im römischer Kirchen-
raum aus.13 Als fundierte Überblicksdarstellung und reich-
haltige Materialsammlung ist dieses Buch von großem
Wert für den historischen Teil meiner Analyse gewesen.
Kummer zeichnet erstmals ein klares Bild jenes Um-
bruchs, der in der zweiten Hälfte des Cinquecento die Dis-
tribution der Bilder in römischen Kirchen von Grund auf
veränderte: Spielte sich das gesamte Geschäft der Bild-
stiftung anfangs allein in den Nebenräumen der Gottes-
häuser ab, ist gegen Ende des Jahrhunderts eine ver-
mehrte „Migration" von Bildern in Presbyterien, Vierun-
gen und Langhäuser zu beobachten. Als eine der frühes-
ten Gesamtausstattungen eines Hauptraumes erscheint
ein bisher so unbekanntes Objekt wie die Madonna dei
Monti damit in grundlegend verändertem Licht, antizi-
piert es doch wichtige Qualitäten späterer Kampagnen ä la
Gaulli. Den Anstoß für die „epochale Neuerung" der
Hauptraumdekorationen sieht Kummer in den Konzils-
beschlüssen des Tridentinums. Implizit sei dort die For-
derung an die Bischöfe enthalten, zur Unterweisung der
Gläubigen eine aktive Bildpolitik zu betreiben.14 Den

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