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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0049

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Erster Teil - Bilderbauten in römischen Kirchen - Erzählebenen, Raumbindung, Rahmenhandlung

Rückblick leicht vergessen, dass jedes einzelne von ihnen Ein weiterer Bilderbau

einen ausgewählten Funktionsbereich päpstlicher Öffent-
lichkeitsarbeit abdeckte. Eine solche strategische Position Heutige Besucher von San Girolamo können beim Betre-
in der päpstlichen Bildpolitik besetzte auch San Girolamo: ten der Kirche mehrere Beobachtungen machen, die sie
Die Nationalkirche der Illyrer war das einzige Gottes- auch im Innenraum von Sant'Andrea della Valle anstellen
haus, das der mindestens ebenso bauwütige wie bildver- könnten (Abb. 28-29):

sessene Sixtus von Grund auf neu errichten ließ.96 Die • Bautyp: Der von Martino Longhis d. Ä. entworfene

Bildausstattung des Neubaus brach mit den Prinzipien, Neubau ist, wenn auch in sehr viel bescheideneren Di-

welche die päpstliche Bildpolitik seit der Rückkehr aus mensionen, dem gleichen Schema eines Saalbaus mit

dem französischen Exil geleitet hatten: Die Bildaufträge Abseiten und Vierungskuppel verpflichtet, das seit dem

von Sixtus' Vorgängern waren ausschließlich für Kapel- zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts den mainstream des

lenräume und Palastinterieurs bestimmt gewesen. Seit der römischen Kirchenbaus prägte.

Neuausstattung der Lateransbasilika unter Martin V. wur- • Umfang der „ersten Ausmalung": Die innerhalb des

de in San Girolamo zum ersten Mal wieder ein Kirchenin- Wandpfeilerraums angebrachte Ausmalung des Guer-

neres auf päpstliche Weisung mit Bildern dekoriert. ra-Teams bleibt auf das Kirchenhaupt beschränkt: den

Die künstlerische Leitung des Projektes legte Sixtus in Chor, die Vierung und das Querhausgewölbe. Alle an-
die bewährten Hände seines „fratello" Giovanni Guerra. deren Flächen des Innenraumes waren ursprünglich
Guerras Aufgabe bei den sixtinischen Ausstattungskam- weiß getüncht und traten als bildlose Zone in Kontrast
pagnen war die eines sovraintendente, der nach heutigem zu den dekorierten Kompartimenten.99
Kenntnisstand lediglich zeichnerische Entwurfsarbeiten • Nachträgliche Komplettierung: Die Ergänzung der Guer-
lieferte.97 Die Umsetzung der Entwürfe vor Ort war Sache ra-Fresken zu einer „totalen" Dekoration ist wie in
der generalstabsmäßig organisierten bottega, deren Mit- Sant'Andrea erst das Werk historistischer Wiederbele-
glieder Guerra mitunter tageweise für verschiedene Bild- bungsversuche. 1846 fasste die Congregazione degli Illirici
kampagnen arbeiten ließ. Einige der in San Girolamo täti- den Entschluss, im Zuge der dringend anstehenden Re-
gen Künstler überliefert die zeitgenössische Vitenliteratur: novierung des erdbebengeschädigten Innenraums die
Paolo Guidotti, Giovanni Andrea Lilio, Paris Nogari, verbliebenen Freiflächen (Langhausdecke, Fassadenin-
Avanzino Nucci, Antonio Viviani. Die Trennung zwischen nenwand und Pilasterspiegel) in Anlehnung an das
einem sovraintendente und parallel eingesetzten capomastri Dekorationsschema des Guerra-Teams zuzumalen.100
und lavoranti ermöglichte sowohl eine weitreichende Kon- • Ensemblestrukturen: Die sixtinischen Fresken sind nach
trolle durch den Auftraggeber wie auch eine sehr rasche den gleichen narrativen Prinzipien organisiert wie das
Ausführung der Bilder. Vom Sommer 1589 an nahm die Domenichino-Lanfranco-Projekt. Der rote Faden, an
Ausfreskierung der Kirche nicht einmal zwei Jahre in An- dem sich eine verknüpfende Lektüre der Bilder orien-
spruch. tieren kann, ist der heilsgeschichtliche Stoff der Hie-

Die arbeitsteilige Organisation der Arbeitsabläufe ronymusvita. Wie in Sant'Andrea ist die Geschichte des
unterscheidet das Projekt in San Girolamo von dem in
Sant'Andrea della Valle. Die Anteile der einzelnen Künst-
ler an den Bildern konnten hier nie ein den Fresken Do-
menichinos und Lanfrancos vergleichbares Profil gewin-
nen und damit auch nicht zu autonomen Sonderleistun-
gen stilisiert werden. Die jüngere Forschung hat die Er-
zeugnisse der sixtinischen Bildkunst denn auch vor allem
als Propagandainstrument in der Hand des päpstlichen
Auftraggebers wiederentdeckt.98 Diese vorwiegend iko-
nographisch orientierte Auseinandersetzung hat dazu ge-
führt, dass die spezifisch bildlichen Aussagemittel der
Dekorationen stark vernachlässigt wurden. Die Möglich-
keit, nach weiter reichenden Gemeinsamkeiten zwischen
der „Propagandakunst" der sixtinisch-clementinischen
Zeit mit den barocken Dekorationen des 17. Jahrhunderts
zu suchen, geriet daher gar nicht erst in den Blick.

28. San Girolamo degli Schiavoni, Grundriss
Palazzo del Gollegio

:>to dci Scriiavon!.

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