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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0296

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Vierter Teil - Thematische Präferenzen. Aviswahl und Transformation der Erzählstoffe

Spirito in Sassia) oder werden lediglich als Kontrastfolie
zu noch stärkeren Zeichen aufgerufen (11 Gesü). Allein
schon daran lässt sich erkennen, dass der Status der „Su-
per-Zeichen" in den Bilderbauten ein grundlegend ge-
wandelter sein muss. Mit den Analysen meiner beiden
Beispiele möchte ich zeigen, dass diese und andere Cha-
rakteristika der römischen Symbolgeschichten mit den
besonderen Anforderungen zu tun haben, welche in punc-
to institutioneller Selbstdarstellung auf den Bilderbauten
lasteten.

Die Funktion der „Super-Zeichen" war schon in den Er-
zählungen der älteren christlichen Bildkunst die einer
kirchlichen Identitätsstiftung gewesen: Sie repräsentierten
das überhistorische Heilspotential der Kirche aus der über-
legenen Warte eines Dens narrator.m Für die Betrachter soll-
te aus dieser Perspektive gar keine Differenz zwischen der
Heilsgeschichte selbst und ihrer narrativen Vermittlung
durch die Institution erkennbar sein. Dieses Modell einer
Gleichsetzung von Geschichte und Erzählung musste in
der frühen Neuzeit auf gewandelte Bedingungen reagie-
ren, die den traditionellen Status christlicher Symbole in
den verschiedensten Bereichen zu untergraben drohten.
Zur Beleuchtung dieses Wandels seien kurz zwei große
Konfliktherde angeführt, denen sich kirchliche Symbol-
praxis im konfessionellen Zeitalter zu stellen hatte:
• Sakramentenstreit: Kontroversen um den Stellenwert der
eucharistischen Symbole waren einer der auslösenden
Faktoren für den theologischen Dissens zwischen Ka-
tholiken und Protestanten gewesen. Dieser konfessio-
nelle Abendmahlsstreit fand in enger Verflechtung mit
dem konfessionellen Bilderstreit statt.752 In der Ausein-
andersetzung um die Auslegung des Altarsakraments
machte sich die protestantische Seite für eine semioti-
sche Umbewertung der Hostie stark: Zwingli und Cal-
vin als Vertreter der radikalsten Position forderten, das
Altarsakrament als „Zeichen" oder auch „Metapher"
für den davon verschiedenen Leib Christi zu betrach-
ten. Während der Abendmahlsfeier sollte sich die Prä-
senz Christi nicht im Zeichenträger, sondern allein im
Geist des Gläubigen ereignen. Die katholische Kirche
hielt dagegen an der scholastischen Auslegung der
Realpräsenz fest. Ihrer Meinung nach transformierten
sich Brot und Wein mit der Konsekrierung durch den
Priester auf wundersame Weise in die „Substanz" von
Christi Fleisch und Blut.733 Die neue kultische Praxis der
quarant'ore, des vierzigstündigen Gebets vor der aus-
gesetzten Hostie, sollte dieser Glaubenslehre das ge-
bührende Gewicht in der religiösen Erfahrung geben.754
Von verschiedenen Reformkräften gefordert wurde
auch die regelmäßige Kommunion der Gläubigen

selbst, die sich in der Praxis aber nicht durchsetzen
konnte.755

• Flut der Wappen: Eine zweite Front im neuzeitlichen
„Krieg der Symbole" wurde durch die Invasion profa-
ner Symbolzeichen eröffnet, welche seit dem Ausgang
des Mittelalters alle Sphären des Lebens durchdrang.
Überall da, wo weltliche Besitzansprüche geltend ge-
macht werden sollten, wurden die betroffenen Objekte
durch Wappen, Impresen und dergleichen markiert.
Der Bedarf an solchen Markierungen stieg in dem Ma-
ße, in dem es wichtig wurde, ungesicherte Einflussbe-
reiche und Statuszugehörigkeiten sichtbar abzugrenzen
und zur Schau zu stellen - in Rom, wo die wichtigsten
Machtpositionen immer nur auf Zeit zu haben waren,
ein ganz zentrales Anliegen. Zu einem ernstzuneh-
menden Rivalen sakraler „Super-Zeichen" wurde die
neue Symbolpraxis aber erst mit dem Aufkommen ela-
borierter Impresen und Embleme, die ihren Sinn nur
denen preisgaben, die sie zu enträtseln verstanden. Ei-
gene Traktatschriften schrieben schon bald den episte-
mologischen Anspruch solcher Verrätselung fest - ge-
nannt sei nur der „emblematische" Titel von Achille
Bocchis Symbolicarum Quaestiones.756 Profane Bildpro-
gramme dienten nicht selten dazu, den Erkenntniswert
von Symbolzeichen mythisch zu überhöhen, ich erin-
nere an die heraldischen Tauben und Ölzweige der
Galleria Pamphilj.757 Wie gefährlich den Vertretern der
katholischen Erneuerung die Entwicklung auf diesem
Sektor erschienen sein muss, lässt sich daran ersehen,
dass Paleotti mehrere Kapitel seines Discorso darauf
verwendet, die Anbringung profaner Stifterzeichen in
den Gotteshäusern als „abuso" zu brandmarken:758

„Ma noi diciamo che, sendo le chiese case d'Iddio e conse-
crate solo al culto suo, non pare ragionevole che noi introdu-
ciamo nella casa de altri l'insegne nostre le quali mostrano
certo segno di dominio."759

Die beiden Beispiele dieses Kapitels beziehen auf unter-
schiedliche Weise Stellung zu beiden hier angesprochenen
Konfliktfeldern. Die Analyse der Bilderbauten in Santo
Spirito in Sassia und im Gesü kann zeigen, wie eng ver-
zahnt der Streit um das Abendmahl und der Streit um die
profanen Symbole zu denken sind. Doch lassen sich die
besprochenen Ensembles nicht darauf reduzieren, Reak-
tionen auf vorgängige Positionen zu formulieren. Beide
kreisen um die heilsgeschichtliche Einsetzung von Insti-
tutionen, deren Geltungsanspruch an die Bildmächtigkeit
einzelner „Super-Zeichen" geknüpft wird.

253. Santo Spirito in Sassia, Inneres

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