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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0337

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Rahmenbedarf. Kultbilder und ihr narrativer Kordon

musste.834 Das konfessionelle Zeitalter ist vielmehr eine
Blütezeit „emergenter" Bildkulte, die sich spontan -
bisweilen sogar gegen den Widerstand der Amtskirche
- an neuen Gegenständen manifestierten. Probleme be-
reitete daher weniger die Aktivierung als die Kontrolle
des Bildkultes.
Präzedenzfall für alles Spätere, ich habe es bereits an-
gedeutet, ist die Umrüstung der Aracoeli ab 1561
(Abb. 150-162).H35 Von einem Ziborium im Mittelschiff wan-
derte die Ikone der Advocata auf den Hochaltar, um dort
zum Mittelpunkt einer neuen Bildausstattung der cappel-
la maggiore zu werden. Es spricht viel dafür, dass die Ver-
bindung von Umsiedlung der Ikone und Neuausstattung
des Chors nicht zufälliger, sondern struktureller Natur
war: Die institutionelle Kontrolle der Kultbilder musste
immer wieder neu hergestellt werden und bedurfte dazu
vielfältiger Akte der Rahmung.836 Einen konstitutiven An-
teil an dieser Praxis des Einrahmens hatten Erzählungen,
etwa die zahlreichen Ursprungsmythen, welche den Bil-
dern eine Vollendung durch himmlische Hände (Acheiro-
poieta) oder eine Anfertigung durch geheiligte Pinsel (Lu-
kasbilder) zuschrieben, oder Geschichten von besonders
denkwürdigen Bild wundern wie die Gregorpestlegen-
de.837

Die Aufgabe einer narrativen Legitimation konnte
schon im Mittelalter nicht nur von sprachlich, sondern
auch von bildlich verfassten Erzählungen übernommen
werden: Ein Beispiel, auf das ich am Ende des Kapitels zu-
rückkommen werde, sind Torritis Apsismosaiken in San-
ta Maria Maggiore. Das Prinzip der „Rahmung", welche
die Advocata-Ikone auf dem Hochaltar der Aracoeli in ei-
nen narrativen Bildzusammenhang integrierte, kann da-
her nicht schon per se als Symptom einer Spaltung in
„zweierlei Bilder", in „Kult" und „Kunst" gewertet wer-
den. Einiges spricht allerdings dafür, dass die narrative
Rahmung aus Bildern im konfessionellen Zeitalter eine
starke Aufwertung gegenüber einer symbolischen Rah-
mung durch Kulthandlungen (Prozessionen, Salbungen,
Krönungen und Bekleidungen) erfuhr.838

Der Bedarf an Kontrolle war besonders hoch im Fall der
neuen Kultbilder, deren Verehrung seit dem Pontifikat
Gregors XIII. systematisch gefördert wurde. Im Zentrum
der neuen Kulte standen schlichte Madonnenbilder des
13. bis 15. Jahrhunderts, wie sie zu Hunderten an römi-
schen Straßen und Plätzen angebracht waren.839 Die Ver-
ehrung dieser Bilder ging auf wunderbare Anzeichen gött-
licher Präsenz zurück, deren Kunde sich innerhalb der Be-
völkerung verbreitete: Die Madonna hatte angefangen zu
weinen oder zu bluten, hatte Kranke geheilt etc. In solchen
Wunderberichten scheint ein „magisches" Bildverständnis

auf, das gleichsam als Ausschaltung der semiotischen
Schwelle um die Bilder funktioniert: Unterstellt wird eine
Präsenz des Dargestellten qua Berührung.

Die spontan entstehenden Bildkulte boten der Kirche
die Möglichkeit, die Lebendigkeit der eigenen Glaubens-
wahrheiten unter Beweis zu stellen. Aber während die
kirchliche Verfügung über die alten Ikonen über jeden
Zweifel erhaben war, mussten die neuen Ikonen erst der
außerkirchlichen Verehrung entrissen werden, welche die
Bilder doch erst zu ihrem wundertätigen Leben erweckt
hatte. Die Anerkennung der neuen Kultbilder vollzog sich
stets als ein Akt der Aneignung. Offensiv konnte eine sol-
che institutionelle Inbesitznahme über die Stiftung eigener
Kirchen bewältigt werden. In solchen Bildheiligtümern
wurden die Ikonen über dem Hochaltar ausgestellt und
damit in den liturgischen Brennpunkt des gesamten Kir-
chenraumes gerückt.84" Es ist hier, wo das Beispiel Aracoeli
Schule machte, während die Neuinszenierungen der alten
Kultbilder zunächst einmal in Kapellenbauten mit Privat-
nutzung (Grablege) vorgenommen wurden."841

Die zentrale Rolle einer narrativen Rahmung durch Bild-
erzählungen hat in den jüngeren Untersuchungen zur
nachtridentinischen Kultbildpraxis kaum Beachtung ge-
funden. Diese Rolle soll im folgenden an zwei Beispielen
geklärt werden, wobei ich mich an zwei Fragen orientie-
re: Was sagen Bilderbauten über den Bildstatus der Kult-
bilder aus und inwiefern wird dieser Bild-Diskurs als in-
stitutionelle Selbstaussage fruchtbar gemacht?

9.1. Vermehrung und Verlebendigung
der Bilder. Der Marienzyklus der Madonna
dei Monti

Die Geschichte der Madonna dei Monti beginnt Ende
April 1580 in einem verlassenen Konventsgebäude, das
damals als Scheune genutzt wurde: Vor einem kleinen
Marienfresko, das irgendwann im Quattrocento an eine
der Wände des Klosters gemalt worden war, erhielt ein
blindes Mädchen sein Augenlicht zurück. Die unmittelbar
darauf einsetzende Verehrung des Bildes unter der Bevöl-
kerung des Monti-Viertels versuchte die Papstkirche
durch Überführung in ein bestehendes Gotteshaus zu re-
gulieren. Doch verschiedene, später als „Wunder" gedeu-
tete Umstände verhinderten den „Raub" des Freskos/42
Daraufhin dekretierte Gregor XIII. die Errichtung eines ei-
genen Gotteshauses. Institutionell wurde es der Congrega-
zione dei Catacumeni e Neofiti angegliedert, einer Einrich-
tung für Konvertiten vor allem jüdischer Herkunft. Gera-
de einmal zwei Monate nach der Wunderheilung konnte
Kardinal Guglielmo Sirleto, der Protektor des Institutes,

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