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DIE GARTENKUNST.
XIII, 1
Belvedere, der dem südwestlichen Ende
der Terrasse im Anschluß an die obere
Terrasse einen Abschluß gibt, ohne sie
zu verriegeln. Denn durch den großen
schönen Bogen hindurch strömt das Licht
herein (der Garten liegt fast ganz im Schat-
ten) und das Auge empfindet unbewußt
den nötigen Zusammenhang mit der um-
gebenden Weite, und bei stärkerer An-
näherung umrahmt ihm der Bogen den
Blick über die Campagna bis zur schim-
mernden Peterskuppel und dem weit da-
hinter blitzenden Meeressaum. Wiederum
auf Treppen, auf ebenen und schrägen, ge-
kreuzten Wegen, zwischen hohen Buchs
und Lorbeer und Laurustinuswänden hin-
durch, an Nischen und Brunnen vorüber,
schließlich über eine Brücke gelangt man
zu dem Rondell in der Mitte des Gartens,
wo um vier Brünnchen und steinerne vier-
eckige, Akanthus tragende Schalen auf
dem Boden die ältesten unbeschreiblichen
Cypressen stehen (Abb. Seite 12). Von hier
genießt man die berühmte Hauptansicht:
In der Höhe der dominierende Koloß des
Palastes, über der reichen von Treppen,
Brunnen, Nischen und Podesten gebilde-
ten steilen Mittelachse und dem tiefen
frischen Grün des Hanges mit seinen
Buchs, Lorbeer, Laurustinus, Kirschlor-
beer und Steineichenmassen.
Man redet gemeinhin von der außer-
ordentlichen Begünstigung dieses Aufbaues
durch das Gelände. Aber mancher würde
Villa d'Este zu Tivoli: Blick auHdie Wasserorgel. Photogr. W. Arntz. sich vielleicht an Ort und Stelle überzeu-
gen, daß es nur Verdienst der Kühnheit und
betritt einen Säulenhof, steigt wieder um ein Geschoß Gestaltungskraft jener Zeit ist, eine solche Situation
tiefer und gelangt auf einen dunklen Gang, von dessen überhaupt erfaßt und in so vollkommener souveräner
fernem Ende blendendes Licht hereinströmt. Eine seit- Weise ausgewertet zu haben. Auch hier sei es ge-
liche Türe führt in einen kleinen Saal, der gewisser- stattet für die Bestimmtheit, mit der sich der Bau-
maßen den Übergang zum Garten vermittelt dadurch, meister von vornherein über die dereinstige Erscheinung
daß er mit einem Wandbrunnen aus Muscheln und klar war und sie herauszuarbeiten wußte, ein Beispiel
Grottenstein geschmückt ist. Tritt man durch die anzuführen. Die Höhe des Palastes ist gerade die
Türe, so steht man überrascht auf dem hohen Podest höcht zulässige für einen guten Eindruck. Aber er
des reizenden Treppenvorbaues. Unter dem Säulen- steht noch zu nahe, zu steil. Da bediente sich der
bogen schwebt der Blick hinaus, hinunter in die über- Erbauer eines optischen Mittels. Er führte die Haupt-
wältigende ruhevolle Harmonie des Bildes. Das wirkt achse nicht gerade, sondern ließ sie in der Mitte eine
so unmittelbar in seiner Geschlossenheit, enthält nichts schwache seitliche Ausbiegung machen. Dadurch ge-
Störendes, nichts, das erst herausgelöst oder verwunden wirint es den Anschein, als stünde Podest und Brunnen
werden müßte, daß der Blick immer wieder zu ihm hier auf einem stärkeren Vorsprung — und die Ent-
hinabtaucht. Auch die Berge gegenüber, die Campagna fernung bis zum Palast vergrössert sich, er tritt zurück,
links lenken ihn nicht ab; sie bilden den bescheiden das Auge hat eine genügende Tiefen- und Abstands-
zurücktretenden und doch unentbehrlichen Rahmen. Empfindung. So brauchte er nicht auf die wuchtige
Reißt man sich los und steigt die Stufen hinab, Erscheinung des Palastes mit dem Steilhange zu ver-
so kommt man auf die zweite Terrasse. Mit welcher ziehten, durch Nähe und Höhe gegeben, und gewann
Überlegung auf die Geschlossenheit des Gartens doch ein angenehmes Bildempfinden. Die Abweichung
hingearbeitet ist, ohne ihn jedoch gegen die Außenwelt von der architektonischen Strenge ist darum hier keine
abzuschließen, davon zeugt hier auch der Bogenbau des Folge der Neigung zu malerischer Zersetzung, sondern
DIE GARTENKUNST.
XIII, 1
Belvedere, der dem südwestlichen Ende
der Terrasse im Anschluß an die obere
Terrasse einen Abschluß gibt, ohne sie
zu verriegeln. Denn durch den großen
schönen Bogen hindurch strömt das Licht
herein (der Garten liegt fast ganz im Schat-
ten) und das Auge empfindet unbewußt
den nötigen Zusammenhang mit der um-
gebenden Weite, und bei stärkerer An-
näherung umrahmt ihm der Bogen den
Blick über die Campagna bis zur schim-
mernden Peterskuppel und dem weit da-
hinter blitzenden Meeressaum. Wiederum
auf Treppen, auf ebenen und schrägen, ge-
kreuzten Wegen, zwischen hohen Buchs
und Lorbeer und Laurustinuswänden hin-
durch, an Nischen und Brunnen vorüber,
schließlich über eine Brücke gelangt man
zu dem Rondell in der Mitte des Gartens,
wo um vier Brünnchen und steinerne vier-
eckige, Akanthus tragende Schalen auf
dem Boden die ältesten unbeschreiblichen
Cypressen stehen (Abb. Seite 12). Von hier
genießt man die berühmte Hauptansicht:
In der Höhe der dominierende Koloß des
Palastes, über der reichen von Treppen,
Brunnen, Nischen und Podesten gebilde-
ten steilen Mittelachse und dem tiefen
frischen Grün des Hanges mit seinen
Buchs, Lorbeer, Laurustinus, Kirschlor-
beer und Steineichenmassen.
Man redet gemeinhin von der außer-
ordentlichen Begünstigung dieses Aufbaues
durch das Gelände. Aber mancher würde
Villa d'Este zu Tivoli: Blick auHdie Wasserorgel. Photogr. W. Arntz. sich vielleicht an Ort und Stelle überzeu-
gen, daß es nur Verdienst der Kühnheit und
betritt einen Säulenhof, steigt wieder um ein Geschoß Gestaltungskraft jener Zeit ist, eine solche Situation
tiefer und gelangt auf einen dunklen Gang, von dessen überhaupt erfaßt und in so vollkommener souveräner
fernem Ende blendendes Licht hereinströmt. Eine seit- Weise ausgewertet zu haben. Auch hier sei es ge-
liche Türe führt in einen kleinen Saal, der gewisser- stattet für die Bestimmtheit, mit der sich der Bau-
maßen den Übergang zum Garten vermittelt dadurch, meister von vornherein über die dereinstige Erscheinung
daß er mit einem Wandbrunnen aus Muscheln und klar war und sie herauszuarbeiten wußte, ein Beispiel
Grottenstein geschmückt ist. Tritt man durch die anzuführen. Die Höhe des Palastes ist gerade die
Türe, so steht man überrascht auf dem hohen Podest höcht zulässige für einen guten Eindruck. Aber er
des reizenden Treppenvorbaues. Unter dem Säulen- steht noch zu nahe, zu steil. Da bediente sich der
bogen schwebt der Blick hinaus, hinunter in die über- Erbauer eines optischen Mittels. Er führte die Haupt-
wältigende ruhevolle Harmonie des Bildes. Das wirkt achse nicht gerade, sondern ließ sie in der Mitte eine
so unmittelbar in seiner Geschlossenheit, enthält nichts schwache seitliche Ausbiegung machen. Dadurch ge-
Störendes, nichts, das erst herausgelöst oder verwunden wirint es den Anschein, als stünde Podest und Brunnen
werden müßte, daß der Blick immer wieder zu ihm hier auf einem stärkeren Vorsprung — und die Ent-
hinabtaucht. Auch die Berge gegenüber, die Campagna fernung bis zum Palast vergrössert sich, er tritt zurück,
links lenken ihn nicht ab; sie bilden den bescheiden das Auge hat eine genügende Tiefen- und Abstands-
zurücktretenden und doch unentbehrlichen Rahmen. Empfindung. So brauchte er nicht auf die wuchtige
Reißt man sich los und steigt die Stufen hinab, Erscheinung des Palastes mit dem Steilhange zu ver-
so kommt man auf die zweite Terrasse. Mit welcher ziehten, durch Nähe und Höhe gegeben, und gewann
Überlegung auf die Geschlossenheit des Gartens doch ein angenehmes Bildempfinden. Die Abweichung
hingearbeitet ist, ohne ihn jedoch gegen die Außenwelt von der architektonischen Strenge ist darum hier keine
abzuschließen, davon zeugt hier auch der Bogenbau des Folge der Neigung zu malerischer Zersetzung, sondern