Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
326

II. HIERATISCHE SPIEGELBILDER.

glaubt (3); doch haben solche Darstellungen bis jetzt keinen orakelnden Frauenkopf
gezeigt und eine orakelnde Sybille würde man anders als dem Erdboden entsteigend
erwarten. Dagegen sind aufsteigende Köpfe und Halbfiguren der Erdgöttin Kora
keineswegs unerhört (*), wie denn selbst aus dem Kreis unsrer Spiegelbilder gleichartige
Andeutungen sich nachweisen lassen (5). Bei der mannigfaltigen Ausbildung cerealischer
Theophanie liegt es daher nahe anzunehmen, dass die in diesen Spiegeln vielberührte (6)
Wiederkehr der Frühlingsgöttin auch hier gemeint und dass die Verkündung dieses
Ereignisses als Hauptgegenstand des gegenwärtigen Bildes zu betrachten sei. Dass ein
so grosses Ereigniss durch geheimnissvolle Schrift verkündet ward, ist in seiner Art
ebenso feierlich als der aus Eleusis berichtete priesterliche Ausruf vom neugebornen
Gotte ('), und wenn der affektvolle Ausdruck des hier der Erde entstiegenen Frauen-
kopfes mehr für die den Qualen, des Hades entlockte Verstorbene eines Todtenorakels
als für die neu verjüngte Göttin der Todten zu passen scheint, so kann bei der man-
nigfachen Behandlung dieses letzteren Gegenstands doch auch der Drang derselben im
Erdendunkel verschlossenen Göttin nach dem Reiche des Lichts hier seinen Ausdruck
gefunden haben.

Nach diesem muthmasslichen Erklärungsversuch der eigenthümlichsten Umstände
unsres Bildes haben wir in eine genauere Betrachtung des hier versammelten Personals
einzugehen. Dem zu unsrer Rechten das Bild abschliessenden Jüngling mit Griffel und
Inschrift sind von linksher zwei andre gleichartige Jünglinge zugewandt, beide mit
herabfallender Chlamys leicht angethan, mit starker Schraffirung der nackten Theile.
Der erste von ihnen, halb angelehnt, legt seine Rechte auf den etwas höher gestellten
linken Schenkel und erhebt in der Linken mit gespreizten Fingern nicht sowohl einen
krummen Stab (8) als, wie es scheint, ein langes unten an einen andern Gegenstand (,J)

(3) Minervini Bull. Nap. N. S. VI tav. IV, 1 p. 33 (No-
lanische Schale), mit unserm Spiegel von Jahn verglichen
in brieflicher Mittheilung. Ein sitzender vor sich ge-
bückter Jüngling, gegen welchen ein am Boden schwe-
bender Jünglingskopf gerichtet ist, zeichnet auf ein
Diptychon etwas auf, was man mit Minervini für die
an ein Orakel gerichtete Fragstellung oder lieber für
das von dem Gott erthcilte Orakel halten kann. Dem
gedachten Jüngling gegenüber, der einem Hermes nicht
unähnlich ist, steht ein von Minervini auf den lesbi-
schen Apollon Napaios gedeuteter Jüngling mit Lor-
beerstamm. Das Gegenbild zeigt zwei Frauen, die eine
mit einer Lyra, die andre eine lange Binde ausbrei-
tend; auch dieses Bild auf Orpheus zu beziehen ist
misslich.

(4) Aufsteigende Kora.

(5) Zu vergleichen das wenn nicht am Boden doch am

Sessel einer weihlichen Hauptfigur bedeutsam angebrachte
Frauenantlitz auf einem unsrer Spiegel. Vgl. oben
CCLXXII, 1. S. 304, 128.

(6) Wenigstens in den hieratischen Darstellungen, die
wir als Theophanie der Libera aufgefasst haben. Vgl.
oben S. 286 ff.

(7) In der Nacht der Mysterienfeier ward durch prie-
sterlichen Buf die Geburt des als Brimos benannten
Jaechos verkündet, laut einem allerdings späten Zeug-
niss des Bischof Hippolyt. Refut. haeres. V p. 1C2.

(8) Wie früher von mir berichtet ward.

(9) Dieser längliche und, wie es scheint, mit Band-
streifen schräg überdeckte Gegenstand ist einem Köcher
nicht unähnlich (vgl. Taf. CLIV), darf aber, da er an
und für sich räthselhaft ist, unsrer auf das Verständ-
niss des Ganzen gerichteten Betrachtung nicht vorgreifen.
 
Annotationen