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man genauer zu, so wird man finden, dass gerade in dem Kampfe
jener verschiedenen nationalen Befähigungen und Mächte, in dem
abwechselnden Vorwiegen der einen über der anderen, in ihrer un-
gleichen Milchung, in ihren oft heftigen Conflicten oder in ihrer nicht
seiten fruchtbaren und reizenden Vereinigung und dem Ausgleich
ihrer Strebungen, dass in dieser Rivalität ein geheimer Reiz der Ge-
schichte französischer Kunst liegt, zuweilen freilich auch der versteckte
Grund des Dramas ruht, von dem die Kunstgeschichte erzählt.
Zum Verständnisse der Kunst Puvis' de Chavannes schien es mir
nicht unnütz, an diesen doppelten Ursprung seines Wesens zu erinnern
und darauf hinzuweisen, dass er, dem Temperamente nach ein Bur-
gunder, wie Vi6tor de Laprade und Chenavard — diesem modernen
Sansit Martin — in Lyon, im Schatten des Hügels von Fourvieres,
heranwuchs, in einem jener vergesfenen Winkel der alten gallischen
Erde, wo die mystische blaue Blume der Sage noch immer in den
Nebeln der Saone und der Rhone aufblüht.
Da erhielt er mit den Eindrücken der Natur eine tüchtige clasfische
Bildung, und es entwickelte sseh in ihm ein überlegter Hang zur Ein-
fachheit und eine hingebende Verehrung für die schlichte Grossheit
alter Meister. Als er dazu kam, sseh der Malerei zu widmen — und
es muss bemerkt werden, dass er es ziemlich spät that — da geschah
es unter dem Drange einer geheimen Neigung und mit dem unbe-
wussten Sehnen, in der Sprache der Kunst, in ihren bedeutungs-
reichen Formen und in der Harmonie ihrer Farben ein neues, befreiendes Mittel für den Ausdruck
innerer Empfindung zu finden. Das ganze Werk seines Lebens sollte denn auch den Spötteleien
und Bemängelungen anderer zum Trotz, ein Ideal verkörpern, dessen traumhaft schwankendes Bild
bei Zeiten vor seiner Seele webte und das von Anfang an seine Anschauung in einen Gegensatz
brachte zu der Auffasfung derer, die ihm Lehrer waren. Dass sseh bei einer solchen Anlage Puvis de
Chavannes schnell dem Einfluss seines ersten Lehrers, Couture's, entzog, wird Niemanden wundern.
Er hat mir selbst erzählt, wie eines Tages, da er seinen Acl malte, der Meister hinter seiner Stasfelei
slehen blieb und ihm kopsschüttelnd zubrummte: »Wie ? so sehen Sie Ihr Modell?« — Es war, erzählte
Puvis de Chavannes, an einem grauen nebelgeschwängerten Vormittag und das Modell erschien in
zartes Licht gehüllt: wie ein Silberschein lag es auf dem Körper......Couture grisf zur Palette
und componirte nach erprobtem Recept, mit Weiss, Neapelergelb, mit Vermillon und Kobaltblau
einen Fleisch- und Lichtton, mit dem er in ein paar Pinselstrichen an Stelle der Vision Puvis' eine
farbenkräftige und leuchtende Figur hinmalte. Entmuthigt und überzeugt, dass er nie so sehen
lernen würde wie Couture es ihn lehren wollte, nahm er am Ende der Stunde seine lieben Sachen
zusammen, verabsehiedete sich höflich und ward nie mehr bei Couture gesehen. Die Anekdote ist
charakteristisch für unseren Künstler. Darüber war sich der junge Künstler klar geworden: die in der
Schule Coutoure's verlangte Kunstprobe, das programmässige »morceau« würde er nie zu Stande
bringen. Was ihm seine Lehrer zeigten und lehren wollten, ihr Beispiel verwirrte ihn mehr, als dass
es ihn erleuchtete. So hatte ihn auch eine Zeitlang die melancholische Natur Ary Scheffer's, bei
welchem er Aufnahme gefunden hatte, angezogen und er schuf im Geschmacke oder richtiger im
Sinne der absterbenden Romantik eine Pietä, eine Herodias und eine Judith, Bilder, die er später

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