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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 14.1891

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Bode, Wilhelm: Die Italiener, Franzosen, Altniederländer und Deutschen in der Schweriner Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3325#0092
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Auch aus der Zeit der höchsten Blüthe der venezianischen Kunst besitzt die Galerie ein paar
Bilder, die freilich nur einen sehr ungenügenden Begrisf von den grossen Meistern dieser Zeit geben.
Als ein Tizian'sches Schulbild ist die „Musikalische Unterhaltung" bezeichnet (Nr. 1050), das ein Motiv
wiedergibt, wie es die venezianische Schule seit Giorgione gern darsteilte. Nach Formen und Farbe
erscheint jene Benennung in der That gerechtfertigt; das blonde Fleisch ist leuchtend, die Farbe reich
und kräftig. Ein Halbfigurenbild, welches der Katalog als „Nachahmung nach Giorgione" bezeichnet
(Nr. 48), ist ein geringeres, späteres Machwerk von ähnlichem Motiv, doch mit näherem Anschluss an
Palma als an Tizian. Die „Grablegung" nach Tizian (Nr. 1047) iß e'ne späte Copie nach dem Bilde
im Museo del Prado zu Madrid.
Die spätere Zeit des Cinquecento ist durch einige gute Bildnisse vertreten. Von Tintoretto drei
echte Werke: der Admiral Sebastiano Venier (Nr. 876) und als Gegenstück ein unbekannter veneziani-
scher Nobile (Nr. 877); letzterer kühl und nüchtern, ersterer dagegen sehr warm und leuchtend in den
reichen prächtigen Farben. Fast dasselbe Bildniss besitzt auch das Belvedere zu Wien. Ein drittes
Bildniss, ein Brustbild (Nr. 878), ist skizzenhaft und leider sehr verdorben. In die Richtung des Tinto-
retto gehört meines Erachtens auch die grosse „Anbetung der Dreieinigkeit" (Nr. 93), welche als ein
Werk des Moretto aufgeführt ist. Das dem Paolo Veronese zugeschriebene Frauenporträt (Nr. 124),
besonders interessant durch die feinen venezianischen Spitzen der Haube und des Kragens, hat mehr
den Charakter eines der Bassano.
Auch die übrigen dem Paolo Veronese zugeschriebenen Gemälde scheinen mir ihm nicht anzu-
gehören. Der „Italienische Ritter" (Nr. 125) ist ein Werk vom Ende des sechzehnten Jahrhunderts,
aber schwerlich venezianischer Abkunft. Die „Ruhe auf der Flucht" (Nr. 127) ist von einem Nieder-
länder aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts, der in Venedig nach Paolo studirt hat. Das
„Madonnenbild" (Nr. 126) ist überhaupt von keinem Meister. Eine „Anbetung der Hirten" (Nr. 879), als
Schulbild des Tintoretto bezeichnet, ist wohl ein echtes und gutes Werk des jüngeren Palma, der
namentlich unter Tintoretto's Einssuss stand. Ein tüchtiges Werk des Leandro Bassano ist das statt-
liche Bildniss des Bontius Leo (Nr. 833); lebendig in der Charakteristik, klar und fein im Ton.
Aus der Zeit der kurzen Nachblüthe der venezianischen Kunst um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts hat die Schweriner Galerie ein paar tüchtige Architekturbilder von Bernardo Bellotto
aufzuweisen, deren Wirkung uns L. Schulz in seinen Radirungen mit bewunderungswerther Treue
wiedergegeben hat. Bellotto hat mit seinem Onkel und Lehrer Antonio Canale 1 das Talent der
malerischen Wiedergabe der Architektur in der Landschaft gemein; ihre Städtebilder, vor Allem die
Anslehten ihrer Heimat Venedig haben sie mit einer Treue und Bestimmtheit der architektonischen
Linien und doch zugleich mit einer so malerischen Empfindung für die Erscheinung der Architektur
im Freien wiedergegeben, dass nur Jan van der Heyden in seinen holländischen Städtebildern mit
ihnen coneurriren kann. Dass ihre Befähigung keineswegs auf die Heimat beschränkt war, haben beide
Künstler bewiesen, die Jahre hindurch, Bellotto sogar Jahrzehnte lang, im Auslande thätig waren und dort
die Veduten der Städte und der Schlösser ihrer hohen Gönner mit derselben Meisterschaft, mit derselben
feinen Wiedergabe des Localtons malten, wie die Bilder aus ihrer meerumgürteten Vaterstadt. Bellotto's
Anssehten von Venedig, die er gelegentlich noch in seiner späteren Zeit als Hofmaler in Dresden oder
Warschau malte, haben sogar durch den langen Aufenthalt im Norden meist einen kühlen, nordischen
Ton, der Venedig keineswegs eigenthümlich ist. Bellotto's Bilder in der Schweriner Galerie haben
beide den gleichen kühlen, grünlichgrauen Ton, obgleich das eine nach dem Katalog den „Palast in
Warschau" (Nr. 54), das andere einen „Italienischen Palasthof" (Nr. 53) darsteilt; letzteres eine etwas
1 Die unter Canale's Namen aufgesührten Bilder der Schweriner Galerie sind keine eigenhändigen Werke desselben.
 
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