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Höhlenmenschen, Fetische, von afrikanischen Negern geschnitzt, byzantinische Mosaiken, alt-
deutsche Holzschnitte, Rembrandtsche Radierungen — daneben Klassizistisches und Rokoko, —Japan
und Tahiti, Altägypten und Biedermeier, persische Miniaturen, chinesisches Cloisonne und pompe-
janischer Wandschmuck —, das alles und noch viel mehr hat als Vorbild und Anregung gedient
und spiegelt sich, teils deutlich erkennbar, teils mehr oder minder variiert und vermischt, in unserer
modernen Produktion wieder. Nun wäre gegen Anlehnungen grundsätzlich nichts einzuwenden;
dem kleinen Talent sind sie eine Hilfe, das große emanzipiert sich von seinem Vorbild, selbst dann,
wenn es nachzuahmen glaubt. Das Unglück liegt nur darin, daß viele junge Leute meinen, in den
Äußerlichkeiten dieser Manieren, in dem »Wie er sich räuspert und wie er spuckt« liege das Wesen
der Kunst; während es doch bloße Oberfläche ist. Form, die nur dann Sinn hat, wenn das Innere,
der Kern, echt und bedeutend ist, das heißt, wenn sich ein ausgesprochenes Talent und ein an der
Natur geschultes, gediegenes Können solcher Mittel als ihm besonders zusagender bedient. Da aber
eine gewisse mechanische Fertigkeit, eine geschickte Hand sich gar häufig vorfinden, durch einige
Übung auch auf einen recht hohen Grad gebracht werden können, so kommt es heute öfter als je
vor, daß die nicht selten nur scheinbare Beherrschung solcher Äußerlichkeiten mit wahrem Talent
verwechselt wird. Schon vor hundert Jahren war ähnliches zu beobachten. Goethe äußerte sich damals
zu Eckermann »über die vielen jungen Dichter, die jetzt ihr Wesen treiben«. »Sie sind«, sagte er,
»gar keine rechten Talente; sie beurkunden weiter nichts als ein Unvermögen, das durch die Höhe
der deutschen Literatur zur Produktivität gereizt worden«. Und später einmal: »Wir leben in einer
Zeit, wo so viel Kultur verbreitet ist, daß sie sich gleichsam der Atmosphäre mitteilt, worin ein
junger Mensch atmet. Poetische und philosophische Gedanken leben und regen sich in ihm, mit
der Luft seiner Umgebung hat er sie eingesogen, aber er denkt, sie wären sein Eigentum und so
spricht er sie als das Seinige aus. Nachdem er aber der Zeit wiedergegeben hat, was er von ihr
empfangen, ist er arm. Er gleicht einer Quelle, die von zugetragenem Wasser eine Weile gesprudelt
hat und die aufhört zu rieseln, sobald der erborgte Vorrat erschöpft ist«.

Vor sechsundneunzig Jahren sind diese Worte gesprochen worden, zur Zeit der Romantiker und
des Aufkommens der »neudeutschen religiös-patriotischen Kunst« (wie Goethes Freund H.Meyer, der
sogenannte »Kunscht-Meyer« sie in einem heute noch sehr lesenswerten Aufsatz »Kunst und
Altertum in den Rhein- und Maingegenden«, II. Heft 1817, nennt und bespricht); sie passen in
verstärktem Maß auf die Gegenwart. Auch heute finden wir unzählige junge Menschen, die sich
auf irgendeinem Kunstgebiet betätigen, ohne eigentlich spezifisches Talent dafür zu besitzen; eine
gewisse allgemeine Begabung, geistige Regsamkeit, jugendlicher Drang sich auszusprechen, führt
sie dazu; oft ist es nicht einmal das; bloß die Lust zu einem freien Beruf oder eine oberflächliche
Handfertigkeit sind hier die treibenden Kräfte. Der Vorbilder, der allen zugänglichen Hilfsmittel sind
überall so viele, daß jeder mit offenen Augen und einem leidlichen Nachahmungstalent Begabte
ein- oder das andere Mal etwas zustande bringen wird, das einem Kunstwerk zum Verwechseln
ähnlich ist; um so mehr als ein gewisser Dilettantismus, eine Art Ungeschicklichkeit, wie sie sich in
solchen Nachempfindungen Ungeschulter notwendig zeigen, heute nicht als Mangel erkannt, viel-
mehr als Vorzug gepriesen wird. Selbst hochbegabte in fleißigem Berufsstudium reifgewordene
Künstler verzichten um dieser Mode willen auf ihr Können und stellen sich recht ungeschickt, um
den Eindruck der Naivität hervorzubringen. So ist es jetzt auch dem geübteren Auge des Kenners
nicht immer leicht, bei neuen Erscheinungen den freiwilligen Dilettantismus vom unfreiwilligen,
das verdorbene Talent von der maskierten oder sich naiv prostituierenden Talentlosigkeit zu unter-
scheiden.

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