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die Voraussetzung bildete. Bei manchen Kunstschöpfungen — es sind jene, die zu den ewigen,
unbegreiflichen gehören — ist Geist, Form und Technik so zu einer inneren Einheit verbunden,
erscheint das Erstrebte so mühelos geworden, daß es uns anmuten möchte, wie ein Stück der Natur
selbst. Andere Schöpfungen wieder lassen uns, indem wir sie genießend zu verstehen suchen,
noch die Kämpfe fühlen, aus denen sie geboren wurden.

Auf einen jungen heimischen Künstler, der im langsamen, ernsten Ringen ganz aus dem Hand-
werke heraus sich zur Höhe freien Künstlertums durchrang und dessen Mappe »Vom Wein-
gelände Wiens« eben im Verlage der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst als Jahresgabe für
1923 erschienen ist, soll hiemit das Augenmerk eines weiteren Kreises von Kunstfreunden gelenkt
werden: Igo Pötsch. Pötsch wurde im Jahre 1884 in Graz geboren. Sein Vater war Offizier;
ein unsteter Geist, der die Obsorge um die Kinder bald völlig der Mutter überließ. Diese Frau — sie
ist seit langem tot — lebt stark in der Erinnerung des jungen Künstlers. Sie war außerordentlich
musikalisch und die künstlerische Begabung, die den einen ihrer Söhne zur Malerei, den andern
zur Bühnenlaufbahn drängte, scheint von ihr vererbt. Die bildende Kunst trat früh in den Gesichts-
kreis des Knaben: im mütterlichen Hause fanden sich nämlich Miniaturgemälde, die von der Hand
eines Onkels stammten, dessen Name indessen verschollen war, die aber den Knaben auf das
lebhafteste entzückten.

Wie Pötsch zum eigenen künstlerischen Schaffen kam, das scheint recht charakteristisch: auf
einem Spaziergange — so erzählt er —, den der Knabe von Graz aus in den nahen Maria-Troster-
Wald unternahm, fand er am Boden verstreut liegende Blätter eines weggeworfenen oder verlorenen
Skizzenbuches. Dieser Fund bezeichneter Blätter löste wie mit einem Schlage den bisher ge-
schlummerten Trieb zu künstlerischer Betätigung aus. Von diesem Tage an finden wir den Jungen,
der, wie er selbst berichtet, am liebsten weg- und steglos die Wälder durchstreifte, leidenschaftlich
dem Zeichnen ergeben.

Pötsch. der in Graz die Schule besuchte, erhielt seinen ersten geregelten Kunstunterricht in der
landschaftlichen Zeichenakademie seiner Vaterstadt unter Heinrich August Schwach.

Die wirtschaftliche Not brachte es aber mit sich, daß Pötsch in die Lithographische Anstalt
von August Matthey als Lehrling eintreten mußte. Hier erwarb er sich vom Grunde aus die Kenntnis
jenerTechnik, die später in seinem künstlerischen Schaffen eine so bedeutsame Rolle spielen sollte.Bald
erkannte der kunstsinnige Chef der Firma die Begabung des jungen Mannes und gewährte ihm freie
Nachmittage, damit er seine künstlerische Ausbildung fördern könne. Das künstlerische Leben in
Graz floß damals in altgewohnten Gleisen dahin. Die großen künstlerischen Evolutionen, die das ganze
moderne Schaffen vom Grund auf umgestalteten, machten sich in der vom Weltverkehr etwas abliegenden
Provinzstadt,in der überdies die Pflege der bildenden Kunst im Gegensatze zu der derMusik immer etwas
zurückgestanden hatte, kaum in ihren letzten Ausläufern bemerkbar. Da geschah es, daß, veranlaßt
durch Wilhelm Gurlitt, den Ordinarius für klassische Archäologie an der Universität, sich ein junger
deutscher Künstler, der erfüllt war von der neuen Mission der Malerei, in Graz niederließ: Paul
Schad-Rossa. Eine ungeahnte Welt tat sich da unserem Kunstjünger auf. Schad-Rossa, der im
Gebäude der alten Universität sein Atelier auftat, wurde bald der Mittelpunkt aller »revolutionären«
Kunstbestrebungen in Graz. Den Jungen der Bringer neuer künstlerischer Offenbarungen, der das
schon allzu lange ängstlich verschlossene Tor ins Neuland künstlerischen Schaffens weit aufriß, um
junges Leben hereinströmen zu lassen, erschien er den Alten als die Verkörperung strafbarster
Verirrung. Heute, nachdem wir die ganze künstlerische Bewegung der damaligen Tage als ab-
geschlossenes Geschehen betrachten und bewerten können, ist es kaum mehr ganz verständlich,

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übe
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