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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Eckhardt, Ferdinand: Berliner Graphiker der Nachkriegszeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0024
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und ihre ganze Kunst besteht darin, einen Kompromiß zwischen Verleger, Kunsthändler, Leser
und Künstler zu ziehen. Der Kunsthändler zahlt die Inserate, ohne die heute keine Zeitschrift mehr
existieren kann (oder zumindest nicht rentabel ist), und der Kritiker würde sich den Ast, auf dem
er sitzt, absägen, wenn er es sich mit den Händlern verscherzen wollte. Dafür sorgt schon der
Verleger, der einen widerspenstigen Kritiker sofort entfernen müßte, selbst wenn es gegen seinen
Willen wäre. Es gibt heute kaum mehr eine unabhängige Kunstzeitschrift, und ich habe es selber
erlebt, daß die beiden einzigen Wochenschriften deutscher Sprache, die wegen der Schnoddrigkeit
ihres Tons im allgemeinen als unabhängig gelten, bei der Wahl ihrer Beiträge von denselben
Motiven geleitet werden wie alle anderen Tageszeitungen und Zeitschriften.

Wie steht es nun mit der Entwicklung der Graphik in den letzten zehn, zwölf Jahren? Ist mit
dem Höhepunkt an Betriebsamkeit auch ein Höhepunkt an Qualität Hand in Hand gegangen? Hat
die große Verbreitung der Graphik wirklich eine neue Sammlerschicht erzogen, in einem Lande,
das seit jeher für Graphik ganz besonders prädestiniert war?

Ich glaube wohl, daß wir das Gegenteil gestehen müssen. Hat nicht jeder zweite Künstler in
diesen Jahren versucht, zur Radierung, zur Lithographenkreide oder zum Holzstock zu greifen, und
dessenungeachtet, daß es nicht möglich war, nach ein, zwei Dutzend Blättern alle die technischen
Mängel, die sich hier boten, zu überwinden, diese Blätter zu Hunderten und Tausenden verkauft?
Nur zu oft waren es Künstler, die auf anderen Gebieten wirklich Nennenswertes geleistet hatten.
Wer von ihnen ehrlich ist, müßte sich heute eigentlich schämen, diese Sachen herausgebracht zu
haben. Das hatte natürlich zur Folge, daß die rein graphischen Qualitäten immer mehr den malerischen
weichen mußten, wie wir eben überhaupt in einer Zeit leben, in der die Malerei dominiert. Wenn
also schon bei Künstlern die Unkenntnis der wirklichen graphischen Werte so groß war, wie mußte
sie erst bei der Menge sein! Welches die Meinung der Kritik über Graphik war, sehen wir im Vor-
wort des Oeuvre-Kataloges eines der bekannten Künstler: »Die Graphik eines Künstlers, wofern
sie nicht Spezialisierung und Hauptbetätigung ist, begleitet sein Schaffen ungefähr in gleicher Weise
wie die Lyrik das eines dichterisch produktiven Menschen. Was dort Stimmungen des Augenblicks
sind, persönliche Begrüßungen, halbe Briefe, das erscheint hier als flüchtig hingehauchte Litho-
graphie, als rasche Radierung; nur der Holzschnitt, bei dem das Handwerkliche nicht ganz im Aus-
druckswillen der Minute aufgeht, steht daneben, wie die Ballade etwa neben der reinen Lyrik-.
Und in einem andern Fall wurde in einer der führenden Kunstzeitschriften von einem der nam-
haftesten Kunstschriftsteller ein Aufsatz über »Die ersten Radierungen von . . . .« veröffentlicht.
Dabei handelte es sich gar nicht um Radierungen, sondern um Kupferstiche, und zweitens hätten
sich Künstler, Kritiker und Herausgeber der Zeitschrift schämen sollen, die ersten, noch mit allen
technischen Mängeln behafteten Blätter in alle Welt hinauszuposaunen. Aber der Markt war ja
aufnahmefähig, und die Käufer warteten schon auf die Eier, die von den Hennen unter besonderen
Begünstigungen vorzeitig gelegt worden waren.

Und doch haben die letzten zehn Jahre manches Tüchtige hervorgebracht. Liebermann schafft
trotz seiner 84 Jahre noch manche gute Platte, Xolde ist zweifellos eine Künstlerpersönlichkeit, wie
sie das letzte Jahrhundert nicht zweimal hervorgebracht, Käthe Kollwitz ist vielleicht eine der
stärksten weiblichen Künstlerinnen aller Zeiten, aber auch unter den Jungen ist eine Reihe tüchtiger
Leute: Walter Gramatte wurde uns viel zu früh entrissen, Matare zeigt einen über den Expressionismus
hinausführenden Entwicklungsweg, und Rolf Nesch führt durch die übermarkante Betonung des
Technischen etwas, das schon von Nolde so deutlich ausgesprochen wurde, noch um einen Grad
weiter. Und nicht zuletzt sei der breiten Welle des Expressionismus im allgemeinen gedacht, die

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