Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

DOI Artikel:
Beringer, Joseph August: Hans de Vos: Betrachtungen zu seinem graphischen Werk
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0055
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Während dieser in heftigen Gegensätzen sich folgenden und ablösenden Strömungen in der
deutschen Kunst zu Beginn unseres Jahrhunderts ging ein starker Unterstrom einher, der, aus den
Urgründen der neuidealistischen Kunst der Marees, Böcklin, Klinger, Thoma sich lösend, das Gesamte
einer formal kraftvollen, malerisch harmonischen und geistig oder seelisch durchkrafteten Kunst
bieten wollte. Unberührt und unbeeinflußt von der dem Deutschen wesenfremden Leichtigkeit des
Bildvortrags aus dem Westen und an sich haltend gegenüber den gewaltsamen Ausrenkungen halb-
und ganzasiatischer phantastischer Kunstvergewaltigungen, ging diese vielleicht nicht besonders
große und nicht allzu starke Schar der Zugehörigen und Nachfolger des Neuidealismus eigenwillig
ihren Weg und trug die Fahne der Ideale einer seit altersher bewährten Kunstweise entschlossen
vorwärts. Wenn nicht alle Zeichen trügen, wendet sich unser Kunstleben und -schaffen immer mehr
wieder diesem ernsten und sein Ziel heilig hochhaltenden Kunstschaffen zu: der klaren Form, dem
weiten Raum, der harmonischen und natürlichen Farbengebung, dem geistig und seelisch belebten
Ausdruck, selbst auf die Gefahr, daß man ihre Gründlichkeit Pedanterie, ihre Naturfrömmigkeit
Spießbürgertum, ihre Bedachtnahme auf das Ganze »Rückständigkeit« nenne. —

Zu diesen orthodoxen Kunstjüngern zählt auch unser Hans de Vos. Überblickt man sein
Schaffen, so wird man gewahr, wie ernst er es von Anfang an mit Erfüllung der unverbrüchlichen
Kunstgesetze nimmt, wie er sich selbst beherrscht, um zur Freiheit in der Kunst zu gelangen. Alle
seine Werke sind prüfende Fragen: Wo stehe ich; wohin will ich; wras fehlt noch; wie komme ich
weiter und höher? Und untersucht man die naturgegebenen Untergründe dieser Werkfrömmigkeit, so
findet man sie ebenso in der Beschaulichkeit seiner Geburtsheimat in Hinterindien, wie in dem grüb-
lerischen Suchen nach Klarheit und Einfachheit seiner Stammesheit in Niederdeutschland und auch
in der heiteren großen Freiheit und Lichtfülle seiner derzeitigen Wahlheimat Überlingen am Bodensee,
denen allen auch das Organ für die tieferen Erkenntnisse und Offenbarungen nie fehlte, so daß jedes
gezeichnete Blatt, ja, jeder Strich und jeder Punkt eine Auswirkung oder Rückstrahlung der geistig-
seelischen Tätigkeit seiner Natur und Wesenheit ist. Auch hiezu wird man sagen können, daß die
ersten Kindereindrücke (H. d. V. geb. 27. VI. 91 zu Singapore) doch bestimmend für das ganze Leben
waren. Außerhalb der engen deutschen Kinderstube mit chinesischer und malaiischer Bedienung
wogten die reiche Tropenwelt und das vielrassige Volksleben Hinterindiens und Südchinas in den
erwachenden Geist des aus holländisch-friesischer Abstammung kommenden Knaben. In dem schul-
pflichtigen Alter wurde die südasiatische Wunderwelt mit der deutschen Heimat vertauscht, was
die nachdrücklichsten Umstellungen des Erlebens der Umwelt zur Folge hatte. Der für das Tropenkind
höchst auffallende und merkwürdige Wechsel der Jahreszeiten, ja, schon das Gewahrwerden des
Hauches und Atems' in der kühlen nordischen Luft, wie die mit Staunen und Interesse durch-
schrittenen Kunstsammlungen in Holland und in Norddeutschland bedeuteten eine neue, andere Welt,
eine andere Artung der Menschen, ein anderes Verhältnis zur Natur. Diese völlige Umschaltung des
Schauens und Erlebens wurde durch einen weiteren Aufenthalt in den Tropen (bis 1901) unter-
strichen. Die Fahrten durch die heimischen und tropischen Meere mit ihren mannigfaltigen Natur-
erlebnissen bildeten eine phantastische Brücke zwischen der nordischen und der hinterindischen
Heimatwelt, die unvereinbar nebeneinander lebten und im Hin- und Herwogen die seelische Struktur
des Knaben verfeinerten und zu einem sensiblen Empfindungsapparat formten. Daß der nach der
Vorbereitung durch den Vater, einen Arzt, auf das Gymnasium zu Hadersleben versetzte,
eigenartig begabte Junge mit Schwierigkeiten aller Art zu kämpfen hatte, trotzdem ihm das Lernen
und insbesondere der sonst so bedrohliche Cornelius Nepos keinerlei Hindernisse bereiteten,
ist verständlich.

44
 
Annotationen