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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Beringer, Joseph August: Hans de Vos: Betrachtungen zu seinem graphischen Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0058
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Kunstjünger geworden, wenn nicht der Weltkrieg ihn in seinen Wirbel gerissen hätte. An der
gefährlichen Stelle der Westfront, zwischen Toul und Verdun, erlebte de Vos eine Verwundung,
die unter merkwürdigen Begleitumständen zu seinem künstlerischen Damaskus wurde. Geheimnis-
volle Vorgänge und Erscheinungen, die er schon vor und während des Krieges gehabt hatte,
schalteten seine ganze Empfindungsweise ins Religiöse um, das nunmehr die Grundlage seines
Schaffens wurde: die Erkenntnis, daß in allem sterblich Körperlichem ein unsterblich Geistiges
enthalten und umschlossen ist, daß wir nach unentrinnbaren, ewigen Gesetzen unseres Daseins
Kreise vollenden. Dieses Bewußtsein gibt dem Künstler die Kraft und die Ruhe, sich mit wahrhaft
indischer Beschaulichkeit auch in den kunstschweren Zeiten des Jetzt in die einfachsten Natur-
ausschnitte zu versenken und aus ihnen ihren ewigen Geist und Gehalt herauszuholen und ins
Licht zu stellen.

Nach dem Anfall der Nordmark an Dänemark infolge des Diktatfriedens von Versailles verließ
der inzwischen verheiratete Künstler mit Mutter und Gattin 1919 die elterliche Heimat Stentoft und
siedelte sich in Überlingen am Bodensee an, nicht ohne seiner schleswigschen Heimat in den
zwölf Zeichnungen »Apenrade« (1919) und in den zwölf Federzeichnungen »Bilder aus Nord-
schleswig« (1923) seine künstlerischen Erstlinge zum Abschied dargeboten zu haben, denen er in
den zwölf Federzeichnungen »Bilder vom Überlingersee« (1923) einen Gruß an die neue Heimat
folgen ließ. Seither gehört sein Schaffen der Bodenseeumwelt, die er mit immer tieferem Erfassen
ihrer göttlichen Naturschönheiten ebenso klar wie ergreifend in Feder- und Radierarbeiten und auch
in Malereien einfängt und in reizvollen Aquarellen und Ölbildern in Licht und in Farbe setzt:
es sind Naturandachten.

Die drei eben genannten Folgen von Federzeichnungen stellen drei Entwicklungsstufen in
technischer und in künstlerischer Hinsicht dar. Apenrade schöpft die mannigfaltigen Motive der
nordschleswigschen Landschaft aus im fast rein vedutenhaften Sinne. Schlichte Straßenwinkel und
Straßenzüge, weitgedehnte Landschaften unter klarem oder bewölktem Himmel, lauschige Waldränder,
Ostseeküstenzüge mit flachem Wellenschlag, Windmühlen und Bootsgruppen, ruhig und sachlich
gesehen und ebenso gezeichnet, gewissenhafte Augen- und zarte Federarbeit, ruhige Lüfte und
breite Wasserflächen, Hofwinkel mit spärlichem Hühnervolk, kaum sonst eine Staffagenfigur: alles
das mit Bescheidenheit und Sauberkeit sorgsam hingestrichelt. Eine große Ruhe, fast Nüchternheit
liegt über allem, sehr merkwürdig für dieses erste Nachkriegswerk, wo man sonst nur die Heftigkeiten
und Unausgeglichenheiten des Expressionismus, den erregten Geist und Kampf aller gegen alle zu
sehen gewohnt ist.

Diese gewaltsame Verschlossenheit in sich wird in der Folge der »Bilder aus Nordschleswig«
offener, schon in den Motiven: de Vos verläßt die ummauerte Enge der kleinstädtischen Gemeinschaft.
Er tritt in die Natur hinaus, begeht ihren in den Linien und Massen wechselvolleren Reichtum an
den sanft geschwungenen Küstenlinien und den welligen Wiesengründen, träumt über die Ufer-
steinbänke in silberne Wasserspiegel hinaus, verliert sich in das reiche Spiel aufsteigender und ab-
fallender Linien an Dorf-, Wald- und Küstenrändern und rindet sich aus den Fernen über Hünen-
gräbermale wieder in die trauliche Enge der Städtchen zurück. Die Lüfte, die meist seidig glänzen,
sind manchmal verschleiert, und die Wasserflächen schillern, in hellen und dunkleren Streifen belebt,
vor den dunklen Mauern und Bäumen der Hintergründe. Die Beschaulichkeit macht einer gewissen
gehaltenen Belebtheit Platz.

Die »Bilder von Überlingen« erfassen das Reiche und Wechselvolle dieser Landschaft am
Bodensee und der alten Reichsstadt sowohl im Architektonischen, wie im Landschaftlichen und

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