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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Seligmann, A. F.: Johanna Kampmann-Freund
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0108
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Johanna Kampmann-Freund, Donaubrücke.

Kreidezeichnung

beschäftigt, und einer warmen,
lebensfreudigen Mutter«; aus
dieser Temperament- und Ras-
senmischung erklärt sich so-
wohl eine gewisse innere Zwie-
spältigkeit als auch ihr starkes
Empflndungsleben, beides für die
Künstlerin besonders charakte-
ristisch, wenn auch vielfach
hemmend. Anzeichen von Talent
zeigen sich schon in frühem
Alter zugleich mit dem Bewußt-
sein, für einen praktischen Be-
ruf keine Eignung zu besitzen.
Die Eltern geben schließlich nach.
Sie besucht durch mehrere Jahre
die Wiener »Kunstschule für
Frauen und Mädchen« — jetzt

Frauenakademie — und zählt dort schon nach kurzer Zeit zu den besten Schülerinnen, ist auch
bald in der Lage, durch Miniaturporträte und -kopien einiges zu verdienen. Doch verdüstert schweres
Siechtum des Vaters, das erst nach Jahren zum Tode führt, ihre Jugend. Mit Unterstützung kunst-
freundlicher Gönner geht sie dann nach München, wo sie die mannigfachsten Anregungen findet.
Im Streben nach stärkstem Ausdruck seelischer Empfindungen gelangt sie in eine Richtung, die
dem Barock verwandt ist. Allein in weiterem Verlauf führt das überwiegende Interesse an den
Formen des menschlichen Körpers wie der Landschaft wieder zu Vereinfachungen; ein strengerer,
sozusagen architektonischer Bildaufbau wird nun das Ziel ihres Schaffens. Die hier reproduzierten
Zeichnungen lassen diese Wandlung deutlich erkennen. Das Blatt mit der Aktstudie, auf dem das-
selbe Modell dreimal nebeneinander gezeichnet ist und dadurch, wie zufällig, einen rhythmischen
Bildeffekt hervorbringt, der charakteristische Männerkopf, der gar nicht auf Tonwirkung angelegt
ist, aber in dem jede einzelne Form plastisch herausgearbeitet und gesteigert erscheint, gehören
der ersteren Richtung an; die sparsame, breite und zusammenfassende Linienführung der Gruppe
(S. 90) charakterisiert die zweite. Um diese Zeit lernt sie ihren Gatten kennen, einen vielseitig ge-
bildeten Offizier, Major Kampmann, der einen ungewöhnlich hochstehenden geistigen Typus ver-
körpert. »Einen Abschnitt seltener Erfüllung« nennt die Künstlerin die Zeit, die ihr an seiner Seite
zu leben vergönnt war und die durch die schwere Erkrankung und das Hinscheiden des noch im
besten Mannesalter stehenden Gefährten einen vorzeitigen Abschluß fand.

Vor einigen Jahren wurde der durch ihr eigenes Schicksal wie durch die trostlosen allgemeinen
Zustände stark gehemmten Künstlerin wohlverdiente Aufmunterung zuteil. Es wurde ihr ein Staats-
preis verliehen (1927) und damit der Wertschätzung ihrer künstlerischen Tätigkeit von Seiten der

maßgebenden Fachkreise vor aller Welt Ausdruck gegeben.

A. F. Seligmann.

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