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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Fleischmann, Benno: Zur Graphikausstellung im Wiener "Hagenbund" (Dezember 1930)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0110
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Malerischen beziehungsweise Zeichnerischen als beherrschender Funktion können wir heute sprechen,
als vielmehr vom Plastischen und Farbigen. Diesen beiden Bestrebungen nach plastischer und
farbiger Gestaltung wird die Graphik - will sie es - nur in Übersetzungen gerecht, in Über-
setzungen aus der Linien- und Flächentechnik in eine, die bildliche Auswertung des Kubischen und
Koloristischen betonende. Kupferstich und Radierung treten heute seltener denn je in selbständiger
Form auf. Wo wir der reinen Linienkunst, Druckgraphik von der Platte, begegnen, hat sie sich in
vielen Fällen auf eine fernerliegende Bedeutung besonnen: die ornamentale und — durch Schrift -
redende, sich in den Dienst eines unmittelbaren oder mittelbaren Zweckes gestellt. So laufen zwei
Richtungen graphischer Kunst nebeneinander: eine plastisch formende, der Malerei angenäherte, und
die eben charakterisierte. Begreiflich ist.weiter, daß die zweite, unbildliche, im kleinsten Wirkungs-
kreis irgendwie architektonische, gerade heute an Bedeutung immer mehr gewinnen konnte.

Schon bei einer ersten, informativen Betrachtung der im Hagenbund ausgestellten Kunstwerke
muß es uns auffallen, daß die Radierung in keinem einzigen Beispiel vertreten ist, wir hingegen
Aquarelle, Tuschzeichnungen, Pastelle, Kohle-, Bleistift-, Ölkreide-, Pinselzeichnungen in buntem
Wechsel vorfinden. Der Holzschnitt wieder ist auf ein geringes Vorkommen beschränkt, kommt aber
in neuartiger Auswertung des scharfen, großflächigen Kontrastes gegenwärtigen Kunsttendenzen
entgegen. Tibor Gergely — wir kommen darauf noch ausführlicher zu sprechen — gewinnt aus
der seltenen Technik des Schwarz-Weiß-Aquarells eine Fülle eigenartiger und reizvoller Wirkungen.
Innerhalb dieser Techniken wäre mit leichter Mühe eine Ordnung zu konstatieren, die den Weg der
Entfernung von der Ausgangsform der Graphik, vom »geschriebenen Bild«, zur Stufe des Gemälde-
ersatzes Schritt für Schritt nachzeichnet. Nach dem oben Gesagten kann uns das äußere Bild der
Ausstellung nicht überraschen. Das Vorherrschen der einen oder der anderen Gattung - freilich neben
allen anderen, seltener angewandten — steht in naher Beziehung zum Wesen der Gesamtentwicklung.
Wir beobachten, denken wir jetzt lediglich an Österreich, das auf eine starke Tradition in der Graphik
der letzten Jahrzehnte zurückblicken darf, ein Streben, das — allen übrigen Entwicklungen ent-
sprechend — auf die Schilderung als Ergebnis eingestellt ist, dem das ausschließlich Zuständliche,
insoweit es in den Möglichkeiten, sich ins Transitorische umzuwerten, Beschränkung und Hemmung
erfahren muß, entrückt ist. Damit geht die Anwendung einer bestimmten, als geeignet erkannten
Technik Hand in Hand. Eine Reihe willkürlich herausgegriffener Künstler — Graphiker — der
letzten Dezennien: Schmutzer, Kasimir, Laske, Oskar Pollak, Kokoschka, Schiele, sei Beispiel dafür.
Vom radierten Porträt — fast noch im Lenbach-Stil —, wo alles Motorische in einen begrenzten
Mittelpunkt verlegt ist, geht die Fortentwicklung aus, kommt zu immer stärkerer Betonung des
Bildlich-Konkreten, Unbeschränkten, Reicheren, alltäglich Durchdrungeneren — denken wir an
Laske — bis der Gipfel in einer Abstraktion vom Beiwerk, in einer Rückkunft zum allein Wesentlichen
oder zum Zufälligscheinenden — Schiele — erreicht ist. Diesem Expressionismus, der einen gewissen
Bewegungsnerv in Gegenstände, endlich in Abstracta verlegen wollte, folgte als Reaktion und letzte
Zuflucht die Sachlichkeit. Sie treffen wir, vielleicht nur mehr in letzten Auswirkungen, oder eben
in einer durch die Graphik gemilderten Form, in unserer Ausstellung. Dem Expressionismus und

der Sachlichkeit mußte die Graphik in der reinen Form wesensfremd bleiben, weil sie _ daher

dem Expressionismus — in ihren Mitteln streng und beschränkt ist, und weil ihr — daher der
Sachlichkeit — ein immerwährender Hang zur Abbreviatur eignet. Als Anziehendstes im Gesamt-
eindruck bietet uns die Hagenbund-Ausstellung eine Auseinandersetzung mit dieser letzten Kunst-
strömung. Das Ergebnis — die geläuterte Sachlichkeit — ist nicht einheitlich, und wir wollen
versuchen, es in manchen prägnanten Fällen deutlicher zu erkennen.

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