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ALFRED SEYLER / NEUE INKUNABEL-DRUCKE

Aus Tiroler Privatbesitz gelang es im Jahre 1941, fünf altdeutsche Drucke des 15. Jahr-
hunderts: zwei Stiche, zwei Holzschnitte und ein Schrotblatt für die Graphische Sammlung
München zu erwerben. Wenn auch in künstlerischer Hinsicht an diese Blätter hohe Ansprüche
nicht gestellt werden dürfen, so mag doch die relative Seltenheit solcher Neuerscheinungen
— denn keines ist bisher in der Literatur veröffentlicht — eine Wiedergabe und kurze Be-
sprechung in dieser Zeitschrift rechtfertigen.

Bei den beiden Stichen handelt es sich um Arbeiten, die offenbar von jener Gruppe unbe-
kannter, aber äußerst fruchtbarer Handwerksmeister herstammen, die etwa im dritten Viertel
des 15. Jahrhunderts am Niederrhein tätig waren. Ihr Oeuvre besteht vielfach aus kolorierten
Blättchen bescheidenen, ja kleinen Formats, die wir heute als
Andachtsbildchen bezeichnen würden und die z. T. an Wall-
fahrtsorten entstanden sein mögen oder dort von frommen
Pilgern zur Erinnerung erworben wurden. Oftmals in Gebet-
büchern eingeklebt, haben sie sich so bis auf unsere Tage
erhalten, trotzdem sie eben keineswegs als „Kunstwerke" zu
werten sind. Das schließt nicht aus, daß sich unter dieser
Menge eine ganze Anzahl recht reizvoller Stichelarbeiten fin-
det; wir dürfen sogar die beiden vorliegenden Drucke hierzu
rechnen. Eine Signatur fehlt durchweg, wie das damals bis
auf verschwindende Ausnahmen die Regel war, und der Persön-
lichkeit des „Meisters" läßt sich deshalb nur mit Vorbehalt
näher kommen. Ursprünglich als Werk des „Meisters des hl.
Erasmus" zusammengefaßt, wurde später die mehrere hundert
Blatt umfassende Zahl durch Lehrs und Geisberg an ver-
schiedene Hände aufgeteilt, für welche die Decknamen
„Meister der Berliner Passion — Meister mit den Blumen-
rahmen — Meister des Dutuitschen Ölbergs — Meister der
Marter der Zehntausend" gewählt wurden. Ihre künstlerische
Bedeutung nimmt etwa in der nämlichen Reihenfolge zu

immer größerer Bedeutungslosigkeit ab, indem jeder aufs neue die Vorläufer unselbständig
zu kopieren pflegte.

Der erste kleine Stich zeigt den Apostel Jacobus den Älteren (Abb. 1). (Größe
der Platte mit schwachgerundeten Ecken 60 : 37. Kräftiges, stark geripptes Papier ohne
Wasserzeichen.) Der Heilige steht frontal, barfuß auf leicht gestricheltem, grün angetuschtem
Boden. Das schlichte lange blaue Gewand fällt bis auf die Füße herab, der weite zinnober-
rote Mantel wird vom linken Unterarm aufgenommen. Die Linke hält ein Buch, die Rechte
einen Stab, an dessen emporgerichtetem Ende eine große Muschel, das bekannte Attribut
des Wanderapostels, befestigt ist. Diese Muschel ist zartrosa koloriert, ähnlich die Wangen
des Heiligen und der Buchdeckel. Das Haupthaar ist wie der Vollbart bräunlich getönt, ein
wenig lichter, ins Gelbliche gehend, der Nimbus. Bei diesem ist dem biederen Meister beim
Ziehen der Kreislinie und ebenso bei der Muschel der Stichel ausgerutscht und es wurde an-
scheinend kein Versuch gemacht, dies Unheil nachträglich zu mildern. Auch die Schraffierung
greift manchmal über die Konturen hinaus. Solchen unleugbaren Flüchtigkeitssymptomen
stehen anderseits bei aller Primitivität ansprechende Feinheiten gegenüber. So fügt sich die

1. „Meister mit den Blumen-
rahmen": Apostel Jacobus d. Ä.
Kolor. Stich. München, Graph. Slg.

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