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HEINRICH BODMER / DIE ZEICHNUNGEN GUIDO RENIS

Guido Reni gehört nicht zu der Gruppe jener ganz großen Zeichner der italienischen Kunst,
deren Blätter jedem Kenner vertraut sind und deren Stil für alle Kunstfreunde zu einem
festen Begriff geworden ist. Es mangelt ihm die souveräne Geste des Meisters, dessen Bild-
vorstellung sich unmittelbar in Äußerungen der mit dem Stift oder mit der Feder operieren-
den und auf der Wirkung der Linie beruhenden Schwarzweißkunst umsetzt. Seine Anschauung
haftet an der malerischen Vision des vollendeten, mit Pinsel und Farbe ausgeführten Kunst-
werkes, wobei ihn die dem Entstehungsprozeß eines Bildgedankens dienende und die ein-
zelnen Phasen des Werdeganges widerspiegelnde Zeichnung nur in zweiter Linie interessiert.
Er steht darin seinem Lehrer Calvaert nahe, der die Zeichnung ebenfalls nur als ein äußeres
Hilfsmittel betrachtet, und er unterscheidet sich darin deutlich von den Carracci, seinen
späteren Lehrern, die sich nur mit dem Zeichenstift in der Hand völlig glücklich fühlten und
die uns eine fast lückenlose Reihe von Studien hinterlassen haben, die von der Entstehung
der einzelnen Kunstwerke Zeugnis ablegen.

Dennoch wäre es völlig falsch, wollte man Renis Bedeutung als Zeichner unterschätzen
und ihm in der Entwicklung der italienischen Handzeichnung des 17. Jahrhunderts nur eine
untergeordnete Rolle zuweisen. Er hat uns zahlreiche Blätter hinterlassen, die uns einen
wertvollen Einblick in seinen Stil und in seine künstlerische Eigenart gewähren. Erst beim
Studium der Handzeichnung Guido Renis wird deutlich, wie sehr er um einen klaren Form-
ausdruck gerungen hat und wie eifrig er bemüht war, Eigenart und Wesen der Erscheinung
als ein plastisches Phänomen im Räume zu ergründen. Wie alle großen Künstler hat der
Meister zahlreiche, rasch mit der Feder oder dem Zeichenstift hingeworfene Bildentwürfe
hinterlassen, daneben aber auch die bis in alle Einzelheiten ausgeführte Detailzeichnung eines
bestimmten Körperteils oder eines Gesamtaktes gepflegt. Diese Blätter aber besitzen einen
bedeutenden künstlerischen Wert und brauchen den Vergleich mit den Schöpfungen anderer,
dem großen Publikum bekannterer Meister nicht zu scheuen. Sie waren bis vor kurzem auch
den Fachleuten, die an der Erscheinung Renis mit einem unberechtigten Vorurteil und mit
einer gewissen Abneigung vorbeigingen, so gut wie unbekannt. Erst vor wenigen Jahren hat
eine vortreffliche Arbeit von Otto Kurz im Wiener Jahrbuch die Grundlage geschaffen, um
das Studium der Zeichnung des Meisters mit Hilfe einer Reihe von einwandfrei als Arbeiten
des Meisters erkannten Skizzen in Angriff nehmen zu können. Es ist das besondere Verdienst
von Kurz gewesen, in der Sammlung von Zeichnungen im Palazzo Bianco zu Genua drei
Entwürfe Renis zu der berühmten Darstellung der Pieta in der Bologneser Pinakothek wieder
aufgefunden und den Kunstfreunden durch Wiedergabe zugänglich gemacht zu haben.

Mit den Blättern in Genua steht eine Zeichnung Renis in der Staatlichen Graphischen
Sammlung in München (Nr. 2190) in engem Zusammenhang (Abb. 1), in welcher wir eine
Vorstudie zu dem Gemälde der „Entführung der Helena" im Louvre erblicken dürfen, zu
der sich eine zum Teil eigenhändige Replik in der Galerie Spada in Rom befindet (Abb. 2).
In der leichten skizzenhaften Fixierung der Gesamterscheinung durch einige schnell und sicher
hingesetzte Linien stimmt das Blatt mit den Genueser Skizzen überein. Freilich macht sich
in der Münchner Zeichnung, die gegen 1630 entstanden sein mag, insofern ein Fortschritt
gegenüber den 1613 datierten Skizzen zur Pietä geltend, als die Kontur schwungvoller be-
handelt ist und sich auch in der Binnenzeichnung zahlreiche Schnörkel finden, die der frühen
Zeichnung Renis unbekannt sind und die auch zu der falschen Zuschreibung an Guercino
Anlaß gegeben haben. Im Gegensatz zu den Genueser Blättern ist hier der Nachdruck nicht

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