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Deutscher Altphilologenverband / Landesverband Rheinland-Pfalz [Editor]; Loos, Hartmut [Oth.]; Glücklich, Hans-Joachim [Honoree]
Athlon: Festschrift für Hans-Joachim Glücklich — Speyer: Landesverband Rheinland-Pfalz im Deutschen Altphilologenverband, 2005

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.53136#0130
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Kurt Smolak
Hieronymus als Übersetzer

Partei behauptete5 6, so gilt dennoch: Was die sprachlichen und literarischen Idealvor-
stellungen betraf, standen die traditionsverbundenen Heiden allein infolge ihrer Zuge-
hörigkeit zur sozialen Oberschicht auf Seiten der Hochsprache, die Christen auf Seiten
der niedrigen Volkssprache, der ‘Sprache von Fischern’, wie man in Anspielung auf
den ursprünglichen Beruf einiger Apostel gern behauptete5. Doch unter dem kulturel-
len Druck der antiken Tradition, dem die Christen ausgesetzt waren, nachdem der poli-
tische Druck der Verfolgungszeit gewichen war, entwickelte sich im 4. Jh. im griechi-
schen Osten ebenso wie im lateinischen Westen eine nicht mehr auf sprachliche Kon-
frontation oder Provokation angelegte, die meisten antiken Gattungen erfassende
christliche Belletristik - und auch die theologischen Traktate eines Hilarius und
Ambrosius waren keineswegs in ‘Fischerlatein’ abgefasst. Diese kulturelle Entwick-
lung schuf bereits in konstantinischer Zeit einen nicht vorhersehbaren paradoxen Zu-
stand: Das Latein des Grundtextes des Christentums, der Bibel, war mit einem Mal für
gebildete lateinische Christen ein Stein des Anstoßes7 8.
Und es war Hieronymus, der dieses Skandalen erstmals mit aller Schärfe literarisch
formulierte: in der berühmten Schilderung seines Traumes im 22. Brief5. Bekanntlich
sah er sich in Vorwegnahme des persönlichen Gerichts nach dem Tod von Christus zur
Auspeitschung verurteilt, weil er die heidnische Literatur der Römer wegen ihrer
sprachlichen Schönheit der ungehobelten lateinischen Bibel vorzog: Er las Plautus
lieber als einen Prophetentext! Der Urteilsspruch Christi lautete: Ciceronianus es, non
Christianas! Hieronymus präludiert die Schilderung seiner Vision mit einer literari-
5 Grundsätzliches bei K. Thraede, Artikel ‘Antike und Christentum’, Lexikon für Theologie
und Kirche, Bd. 1,755-759 (1993).
6 Z. B. Sulpicius Severus in der Einleitungsepistel zu seiner Vita S. Martini'. ... salutem saeculo
non ab oratoribus, ... sed a piscatoribus praedicatam. Inhaltlich vergleichbare Äußerungen
finden sich in einer Predigt von Augustinus (in ps. 36, serm. 3,6) und einem Brief Gregors
des Großen (epist. 5,53a).
7 Es mag unter anderem mit diesem für den lateinischen Raum spezifischen ästhetischen Prob-
lem Zusammenhängen, dass die Bibeldichtung, insbesondere die Bibelepik, in den Dreißiger-
jahren des 4. Jh. mit den Evangeliorum libri des luvencus einsetzte, die im griechischsprachi-
gen Osten nicht nur später auftrat, sondern auch nie dieselbe Bedeutung erlangte wie im Wes-
ten (vgl. R. Herzog in: R. Herzog - P. L. Schmidt [Hsg.J, Handbuch der lateinischen Literatur
der Antike, Bd. 5, München 1989, 222).
8 Epist. 22,29,6-30,6; zur Kommentierung s. K. Smolak, Christentum und römische Welt
(Kommentarband), Wien 19912, 80-82; allgemein vgl. R. Eiswirth, Hieronymus’ Stellung zur
Literatur und Kunst, Wiesbaden 1955 (Klassisch-philologische Studien 16); F. F. Schwarz,
Hieronymus flagellatus. Überlegungen zum literarischen Schlagschatten Ciceros, Acta Anti-
qua Hungarica 30 (1982-1984), 363-378; N. Adkin, Some Notes on the Dream of Saint
Jerome, Philologus 128 (1984), 119-126; B. Feichtinger, Der Traum des Hieronymus - ein
Psychogramm, Vigiliae Christianae 45 (1991), 54-77; N. Adkin, Adultery of the Tongue,
Hermes 121 (1993), 100-108 (gegen Feichtinger); zur Datierung C. A. Rapisarda,
Ciceronianus es, non Christianus. Dove e quando avenue il sogno di S. Gerolamo? Miscella-
nea di studi di letteratura cristiana antica 4 (1953), 1-18; J. J. Thierry,'The Date of the Dream
of Jerome, Vigiliae Christianae 17 (1963), 28-40.
 
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