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Vermeer van Delft, Jan; Goldscheider, Ludwig [Hrsg.]
Johannes Vermeer: Gemälde; Gesamtausgabe mit Einleitung, Katalog, Signaturen-Tafel, 83 einfarbigen und 34 farbigen Wiedergaben — Köln, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.51036#0013
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Holländer haben keine Phantasie, aber ihr Geschmack ist außerordentlich und ihr Sinn
für Komposition ist unfehlbar.“1
Van Gogh hat sicherlich Vermeers Wert begriffen; aber einige Jahre später
hatte ein Herr A. A. des Tombe, als er auf einer Haager Auktion Vermeers
54 vielleicht schönstes Bild, den Kopf eines Mädchens mit Perlenohrgehänge, erwarb,
dafür nur ff 2.30 (etwa vier Mark) zu zahlen, den Preis eines mäßigen Mittag-
essens, weniger als für einen guten Druck nach einem Bild von Meissonier,
Millais oder Makart. Aber schon im Jahre 1889 brachte eines von Vermeers
schwächeren Werken auf einer Pariser Auktion 75.000 Francs.
Das Verständnis für Vermeers Kunst begann in Frankreich. Zolas Mon
Salon, Cezanne gewidmet, erschien in demselben Jahr wie Bürger-Thores
Vermeer-Aufsätze; und die ersten hohen Preise für Vermeer-Gemälde wurden
zu der Zeit gezahlt, als der Dichter Verhaeren die Impressionisten zu bewundern
anfing und Durand-Ruel seinen ersten großen Erfolg mit einer Impressionisten-
Ausstellung in New York hatte.
Vermeer kam zugleich mit den Impressionisten in Mode; sie hatten darauf
zwanzig Jahre warten müssen, er zweihundert.

II: Konstellation
VERMEER wurde zu Delft in Holland im Jahre 1632 geboren (im gleichen
Jahre wie Luca Giordano und Nicolaes Maes, Spinoza, John Locke und der
Mikrobenjäger Leeuwenhoek). Wie sah die Welt aus, in die er kam?
Es war inmitten des dreißigjährigen Krieges; Gustaf Adolf und Tilly fielen
in diesem Jahr; in Holland herrschte Frieden. Im Herzen Europas brannten
Städte und Scheiterhaufen; mit den Heeren zogen Hunger und Schande, Mord
und Unzucht, Pest und Syphilis. Die Welt war in Verzweiflung, die Kunst
nicht. Im Geburtsjahr Vermeers zeichnete Callot an den Entwürfen zu seinen
Miseres de la Guerre; Rubens hatte soeben sein bestes Kirchenbild, den Ilde-
fonso-Altar, vollendet, Rembrandt die Anatomie des Professor Tulp; Velazquez
malte Bildnisse von König Philipp und dem Prinzen Baltasar; Bernini,
7 Im gleichen Brief gibt Van Gogh seinen Kanon: dieser Sachen wirken die Bilder der Primitiven und der
„Eine griechische Statue, ein Bauernhild von Millet, ein Japaner nur wie Kalligraphie verglichen mit Malerei.“
holländisches Porträt, eine nackte Figur von Courbet oder Aber Van Goghs Geschmack war nicht zeitgemäß; zu
Degas: neben der stillen und erkämpften Vollkommenheit Lebzeiten verkaufte er nur ein einziges Bild.
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