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Vermeer van Delft, Jan; Goldscheider, Ludwig [Hrsg.]
Johannes Vermeer: Gemälde; Gesamtausgabe mit Einleitung, Katalog, Signaturen-Tafel, 83 einfarbigen und 34 farbigen Wiedergaben — Köln, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.51036#0015
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blühte weiter; Jacob Böhme war damals in Holland sehr geschätzt, die erste
Gesamtausgabe seiner Schriften erschien in Amsterdam (1620 und 1682).
Die Malerei der jungen Generation der Jahrhundertmitte blieb in den pro-
testantischen Provinzen der Niederlande rationalistisch und realistisch. Porträt,
Landschaft und Genre waren ihre Hauptthemen. Die Kunst Vermeers wurde
ganz von der rationalistisch-bürgerlichen Strömung der Zeit getragen, der
mystische Einfluß berührte sie nicht.10

III: Hintergrund
HOLLAND bestand damals aus sieben Provinzen, und jede dieser Provinzen
hatte ihre großen Städte, und jede Stadt ihre lokale Malerschule. Die Schule
von Delft war bis um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ohne besondere
Bedeutung, doch änderte sich das mit einem Male, als in diese reiche Stadt der
Bierbrauereien und Fayencefabriken Carei Fabritius, Paulus Potter, Pieter de
Hooch und Jan Steen übersiedelten.11 Unter den in Delft geborenen Malern
waren Leonard Bramer, Anthonie Palamedes und Michiel van Miereveld
noch die besten. Bramer kannte Italien und Frankreich, bewunderte Elsheimer
und malte Landschaften und kleinfigurige Bibelbilder in Rembrandts Braun,
aber nicht mit dessen Gold; Palamedes lieferte freundliche Bildnisse und
hübsche Gesellschaftsstücke; Miereveld, eine Zeitlang Hofmaler der oranischen
Prinzen, war als teurer und solider Porträtmaler bei den wohlhabendsten
Bürgern der Stadt sehr beliebt.
Die erste Nachricht vom Dasein Vermeers gibt das Taufbuch der Neuen
Kirche zu Delft unter dem 31. Oktober 1632. Das Kind wurde auf den Namen

10 Der Begriff „barock“ ist mit Absicht in dieser
Skizze des geistigen Hintergrundes nirgends ange-
wendet. Die übliche Charakterisierung des Barocks
als „schwellende Bewegung aller Formen, Steigerung der
Dimensionen, Rhetorik, Theatralik, Pathos, Pomp und
Gewaltsamkeit im Gegensatz zu allem Schlichten und
Zurückhaltenden“, hat mit der Kunst Vermeers gewiß
nichts zu tun (ebensowenig mit der von Hobbema
oder sogar Velazquez; auch nichts mit den Werken
einiger der größten Schriftsteller der Periode, wie
Gracian, Larochefoucauld oder auch Moliere). Den
vielen religiösen und philosophischen Richtungen der
Zeit entsprechen ebensoviele Richtungen in der Kunst

und Literatur: der befreite Geist fand überall eigene
Formen, indem er sich der Natur, den visuellen
Erlebnissen, der farbigen Wirklichkeit und den
psychologischen Nuancen zuwandte. Der eigentliche
Barockstil ist die traditionsgebundene Richtung der
Epoche, eine Gegenrichtung, aus Renaissance und
Manierismus hervorgewachsen und in die nächsten
Jahrhunderte weiterwirkend.
11 In der gleichen Weise entstanden durch orts-
fremde Künstler einige italienische Malerschulen:
Padua durch Donatello, Mailand durch Leonardo,
Rom durch Michelangelo und Raffael.
 
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