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Vermeer van Delft, Jan; Goldscheider, Ludwig [Hrsg.]
Johannes Vermeer: Gemälde; Gesamtausgabe mit Einleitung, Katalog, Signaturen-Tafel, 83 einfarbigen und 34 farbigen Wiedergaben — Köln, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.51036#0016
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Joannes getauft (nicht Jan, wie er gewöhnlich genannt wird12). Der Vater,
Reynier Janszoon Vos, alias van der Meer oder Vermeer, war ein Bürger von
Delft; die Mutter, Dignum Balthasars oder Balten, war aus Amsterdam.
Vermeers Vater hatte mehrere Berufe. Er war Seidenweber und erzeugte
„Caffa“, einen Stoll, der besonders für Vorhänge und Möbelüberzüge ver-
wendet wurde; außerdem war er Kunsthändler und gehörte als Meister der
Lukasgilde an; schließlich betrieb er auch noch ein Wirtshaus.13 In diesem
Hause und Wirtshause, „Mechelen“ genannt und am Marktplatz von Delft
gelegen, wohnte er mit seiner Familie: mit seiner Frau Dignum, auch Dymphna
genannt, seiner Tochter Geertruyt und seinem Sohne Johannes, der nach
siebzehnjähriger Ehe geboren worden war, als zweites und letztes Kind.
Es scheint, daß Vermeers Vater in einer Atmosphäre gelebt hat, wie wir sie
aus Bildern von Brouwer und Steen kennen. Ein frühes Dokument berichtet,
daß bei einer Rauferei in seinem Wirtshause „Mechelen“ Reynier Vermeer mit
Beistand einiger Kumpane einem jungen Kadetten übel mitspielte. Reynier
Vermeer hatte sich wegen schwerer Körperverletzung zu verantworten und
mußte sich loskaufen: Doktorrechnung und Schmerzensgeld und ein freies
Gelage für den Kadetten und dessen Freunde hatte er zu bezahlen.
In welcher Weise der Wirt von „Mechelen“ seinen Kunsthandel betrieb, ist
nicht bekannt; vielleicht waren Gemäldeausstellungen nur als besondere
Attraktion seines Wirtshauses gedacht. Aber allem Anscheine nach hat
Johannes Vermeer nach dem Tode seines Vaters diese Kunsthandlung über-
nommen und zur Hauptquelle seines Einkommens gemacht.14 Kein zu Lebzeiten

12 Die Kataloge der holländischen und deutschen
Museen nennen ihn Johannes; die Kataloge der
Nationalgalerien in London und Washington nennen
ihn Jan. Um nicht pedantisch zu erscheinen, nennen
wir den Maler nicht Joannes (wie er selbst alle Doku-
mente unterschrieb), sondern so wie die deutschen
Museumskataloge ihn nennen.
13 Wirtshaus und Kunsthandlung scheinen sich
damals gut miteinander vertragen zu haben. So stellten
im 17. Jahrhundert auch in Deutschland reisende
Kunsthändler ihre Stücke in Wirtshäusern aus. Am 16.
März 1611 kauften Hainhofer und der Maler Rotten-
hammer in einem Augsburger Gasthof von Hans und
Justus Sadeler aus Venedig Bilder für den Herzog von
Pommern, darunter Gemälde von Veronese, Jacopo
Bassano, etc. („Quellenschriften“, N.F.VI, 106).

14 Das ist nichts Ungewöhnliches. Vom Kunst-
handel lebten viele holländische Maler; sogar Rem-
brandts Einkommen während seiner letzten zehn
Lebensjahre, als er seine großartigsten Gemälde schuf,
stammte hauptsächlich aus seinem Anteil an den von
seiner Frau und seinem Sohn gegründeten Kunst- und
Antiquitätengeschäft. Auch in andere Berufe mußten
sich im Notfälle gute Maler flüchten: Hobbema wurde
Zollbeamter, Steen betrieb während seines Delfter
Aufenthalts eine Bierbrauerei; und Esaias Boursse
starb als Obermatrose auf einem Schiff der Ostin-
dischen Handelskompagnie.
Unter allen Berufen, die einen holländischen Maler
des 17. Jahrhunderts in seiner Kunst vom Geschmack
und von den Forderungen des Pubhkums unabhängig
machen konnten, war der Kunsthandel noch am
passendsten.
 
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