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Goldschmidt, Adolph; Weitzmann, Kurt; Goldschmidt, Adolph [Editor]; Weitzmann, Kurt [Editor]
Die byzantinischen Elfenbeinskulpturen des X. - XIII. Jahrhunderts (Band 2): Reliefs — Berlin: Bruno Cassirer, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.53147#0090
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GOLDSCHMIDT

funden haben, da in dieser Zeit im Rheinland bereits zwei Metallkopien (Nr. 241
und 242) nach ihm verfertigt wurden.
Der Kasten ist achtseitig und mit einem abgestumpften Pyramiden-
dach versehen, das aus acht Trapezen und einer bekrönenden Acht-
eckplatte gebildet ist. Von diesem Kastentypus ist kein vollstän-
diges Exemplar erhalten, jedoch lassen sich die in Bd. I Taf. VII
Nr. i3—19 abgebildeten Platten zu einem solchen zusammensetzen.
Der Zeichner hat den Kasten in starker Aufsicht gezeichnet, um
möglichst viele Deckelreliefs wiedergeben zu können.
Von den acht Rechteckplatten der Kastenwände sind nur drei auf
der Zeichnung zu sehen: außer der kleinen Tierplatte unterhalb
des Schlosses links ein kämpfender Krieger mit Schild und Speer,
rechts ein Putto mit einem Delphinengespann (vgl. Bd.I Taf. XXV,
44b). Der den Körper z.T. verdeckende Flügel des letzteren ist einem
anderen Motiv entlehnt, nämlich einem auf einem Adler reitenden
Putto, der auch sonst auf den Kästen sich findet (vgl. Bd.I Taf.IX, 21c).
Die Trapezplatten stellen Szenen aus der antiken Mythologie dar.
1. Auf einem Panther reitet ein Putto, dem ein zweiter, der auf einen
Baum geklettert ist, ins Haar greift. 2. Ein Putto küßt ein Panther-
weibchen auf die Schnauze, ein zweiter trinkt an der Brust des
Tieres. Darüber (abgeschnitten) ein Hundeantreiber. Eine Wieder-
holung aller Motive auf dem Kasten aus Veroli (vgl. Bd. I Taf. IX, 21c).
3. Schlafender Silen oder Herakles (?). Putten haben ihn gebunden,
und hoch an einem Baume befestigt. 4- Europa auf dem Stier, umge-
ben von zwei Kentauren aus einer Lapithenraubszene (vgl. Bd. I Taf.
IX, 2 ta und c). 5. Ares und Aphrodite (?), ein Flöten- und ein Syrinx-
bläser. Die Achteckplatte wird von einer liegenden Frauengestalt
(schlafende Ariadne?) eingenommen, über die sich eine zweite Frau
beugt. Rechts ist ein Guitarrenspieler dargestellt und ein Putto, der ein
Horn in die Höhe hält. Die horizontalen Ornamentstreifen der Kasten-
wände zeigen die übliche achtgeteilte Rautenrosette, die senkrechten
Stücke und der untere Deckel streifen einen Wechsel mit Medaillon-
köpfen (vgl. Bd. I Taf. IXa). Die Trapezplatten sind von zierlichen
Wellenranken gesäumt.
Eine Stilvergleichung der zweiten Trapezplatte mit der entsprechen-
den desV eroli-Kastens (Bd. I Taf. IX 21 c) läßt auf eine große Kopisten-
treue des Zeichners schließen und rückt das verlorengegangene Ori-
ginal zeitlich in dessen Nähe, d. h. in das 10. Jahrhundert.
Die Trapeze sind im Abendland auf zwei Metallkästen kopiert wor-
den (Nr. 241 und 242), mit deren Hilfe sich die Themen der auf
unserer Zeichnung nicht wiedergegebenen Trapeze der Rückseite
ergänzen lassen: 1. ein Putto auf einem Delphinengespann (Nr. 242!)
und ein weiterer mit aufgestütztem Speer; 2. ein opfernder Hippoly-
tus (Nr. 241 und 242 g); 3. der Raub einer fackeltragenden Lapithen-
frau durch einen Kentauren (Nr. 241). Die fehlenden Rechteckplat-
ten lassen sich hingegen nicht mehr bestimmen, da die Seitenreliefs
der Metallkästen auf ein anderes Vorbild zurückgehen. Nur ein
grober Holzschnitt des 16. Jahrhunderts, der den Heiltumkasten
von einer anderen Seite wiedergibt (Weitzmann. a. a. O. Abb. 7), läßt
auf einer Platte einen Putto auf einem Hippokampen erkennen.
Literatur: Ph. M. Hahn und R. berliner, Das Hallesche Heiltum, Rerlin 1981,
Taf. 15y.—Weitzmann, Zeitschrift für Kunstgeschichte 1984, Bd. III, S. 92, Abb. 5.
a/p. METALLKASTEN MIT PYRAMIDENSTUMPFDECKEL.
TAFEL LXXVIII
Zeichnung des 17. Jahrhunderts (Coburg).
Mythologische Szenen.
Der aus einer Tuschzeichnung des 17. Jahrhunderts bekannte und als
„ Cistula S.Cunegundis “ bezeichnete Kasten befand sich einst im Bam-
berger Domschatz. Seine trapezförmigen Deckelreliefs sind Metall-
kopien nach denen des Halleschen Heiltumkastens Nr. 240- Die erste
Platte mit der Europa und Kentauren und die vierte mit dem Panther
und Putten entsprechen der vierten und zweiten dort. Die dritte Platte
mit dem opfernden Hippolytus ist identisch mit einem Rückseiten-
relief des Kastens in Anagni (Nr. 242g), einer zweiten Metallkopie
nach dem Hallenser Kasten. Diese Vergleichungen lassen die Flüch-

tigkeit und ungenaue Wiedergabe von Details auf der Coburger
Zeichnung erkennen. Das zweite Trapez des Bamberger Kastens
stellt den Raub einer fackel haltenden Lapithenfrau durch einen
Kentauren dar (vgl. Bd. I Taf. XIII, 27c). Es findet sich nicht auf
der Zeichnung des Hallenser Kastens und hat infolgedessen auf
der nicht wiedergegebenen Rückseite gesessen. Für die zwölf
Rechteckplatten der Kastenwände, von denen sechs auf der Zeich-
nung zu sehen sind, hat der Verfertiger der Bamberger Cistula einen
zweiten byzantinischen Rosettenkasten zum Vorbild gehabt, da der
Heiltumkasten nicht genügend Vorlagen liefern konnte. Dieser zweite
Elfenbeinkasten ist gleichfalls verschollen, es ist aber jedenfalls
derselbe, den auch der Meister des Anagni-Kastens benutzt hat, da
sich die drei einzigen dort erhaltenen (Nr. 242a, b, c) auf dem Bam-
berger wiederholen. Die erste Platte von links stellt einen thronen-
den Josua dar (vgl. Bd. I Taf. V, 10a). Ihm wendet sich der Gesandte
der Gabaoniter zu, der dem Josua die vertrockneten Brote zeigt
(vgl. Bd. I Taf. VIII, aod). Es folgen ein Herakles, der die Keule
schultert (vgl. Bd. I Taf. XXIII, 4ib), eine tanzende Mänade in
Rückenansicht (vgl. Bd. I Taf. XV, 28b), ein Steinwerfer aus der
Darstellung der Steinigung des Achan (vgl. Bd. I Taf. III, 8d) und
schließlich ein Josuakrieger, der die Kunde bringt von der Flucht
der Amoriterkönige (vgl. Bd. I Taf. V, 10a—c). Das Vorbild zu die-
sen Reliefs dürfte dem in Xanten befindlichen und dem aus Cranen-
burg stammenden Elfenbeinkasten (Bd. I Taf. V und VI) stilver-
wandt und daher gleichzeitig gewesen sein, also dem 10. Jahrhun-
dert angehört haben. Die Deckeloberseite, die in vier durch ein
Gemmenkreuz geteilten Feldern zwei Engel mit Weihrauchfässern
und zwei Gestalten, wohl Maria und Johannes, darstellt, sowie die
gesamte Ornamentik, in der Rechteckstücke mit Edelsteinen und
Filigran mit gestanzten Palmettenmustern wechseln, sind abend-
ländisch. Die Palmetten mit den charakteristischen Fruchtkolben
auf einem Blatthintergrund lassen gleich dem Anagni-Kasten (s. dort)
auf eine rheinische Entstehung um die Wende vom 12. zum i3.
Jahrhundert schließen. Ist der Kasten aber erst so spät entstanden,
dann kann er nicht, wie die Beischrift der Zeichnung glaubhaft
machen will, auf die hl. Kunigunde, die Gemahlin Heinrichs II.,
zurückgeführt werden. Die traditionelle Annahme, daß es sich bei
dem skandinavischen Elfenbeinkasten in München (Goldschmidt,
Elfenbeinskulpturen, Bd. II,Taf.LXII—LXIV) umden der Kunigunde
handeln könnte, ist also durch unsere Zeichnung nicht widerlegt.
Literatur: R. Berliner,Münchner Jahrb. N. F. Bd.VI, 1929, S. 276, Abb. 3.—
Weitzmann, Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. III, 1984, S. 99, Abb. 20.
242a-g.SILBERKASTEN MIT PYRAMIDENSTUMPFDECKEL.
TAFEL LXXIX
Um 1200.
Mythologische Szenen.
Anagni, Schatz der Kathedrale.
Höhe 19,5 cm, Länge 31,5 cm, Breite 18 cm. Der Kasten ist äußerst schad-
haft. Von den figürlichen Rechteckplatten der Kastenwände ist auf den
beiden Kurz- und auf der Rückseite keine einzige mehr vorhanden. Nur die
Vorderseite (a) enthält eine vollständige und von einer zweiten Kopf und
Oberarm eines zum Schlage ausholenden Kriegers. Von den acht Trapez-
platten des Deckels sind noch vier erhalten, und von drei Rechteckplatten dex'
Deckelaufsicht fehlt die mittelste. Ebenso fragmentarisch sind die Ornament-
bänder, und zwar scheint der Kasten schon bald nach der Herstellung sehr be-
schädigt worden zu sein, da die zur Ausflickung benutzten Ornamentbänder
rechts neben dem Schloß (a) kaum wesentlich später sein dürften als die ur-
sprünglichen. Die Herkunft des Kastens ist unsicher. In alten Inventaren wird
er nicht erwähnt.
Der Kasten schließt sich nach dem Typus der Gruppe von Roset-
tenkästen mit Pyramidenstumpfdeckel an (Bd. I Taf. XX, XXI,
XXVI—XXX u. a.), jedoch mit dem Unterschied, daß die Deckel-
schrägen an Stelle durchlaufender Friese die vom achtseitigen Vor-
bild her übernommenen Trapeze enthalten. Letztere sind genaue
Metallkopien nach den Deckelreliefs des Heiltumkastens (Nr. 240).
Die Reliefs der vorderen Deckelschräge (d und e) stellen die Ares-
 
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