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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,2) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47242#0205

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zeigt ein Köpfchen, das mitten ans dem Lachen plötzlich in
Thränen ausbrechen möchte: wer hat das bisher zu malen
unternommen?
Böcklin hat diesen Vorgang einfach, feierlich und ver-
ständlich gemalt. Seine eigentümlichen Neigungen als Künstler-
hat er nicht verleugnet, dennoch sie dem Gegenstände unter-
geordnet. Keine Spur des hergebrachten schematischen Wesens
kirchlicher Malerei ist hier sichtbar. Dennoch erhebt sich das
Ereigniß durch Abwesenheit des gewöhnlich Zufälligen zur
Würde einer historischen Darstellung im Sinne der älteren,
im Dienste der Kirche arbeitenden Kunst. In ganz eigener
Weise hat er dem Gemälde nach unten einen kirchlichen Ab-
schluß gegeben. Der Leichnam Christi liegt lang vor uns auf
einem glatten Block von weißem Marmor, der seiner Größe
entspricht, und unter den: ein zweiter größerer sich ausdehnt,
der eine Stufe bildet. Auf diese Stufe sind einzelne Blumen
hier und da hingestreut, Rosen; der gesummte Unterbau wirkt,
als wäre durch Zufall aus den beiden Steinen ein Altar
geworden.
Böcklin kann nicht beurtheilt werden, ohne daß dies
Gemälde in Betracht komme.
Immer von Neuem macht die bildende Kunst heute den
Versuch, das in der Erzählung der Evangelien Liegende los-
znlösen von der Anschauung früherer Jahrhunderte, die wir
nicht aufgeben mögen, weil sie uns vertraut und unentbehrlich
ist, der wir aber trotzdem entwachsen sind. Wir möchten das
Nichtzugestaltende neu gestalten; mir möchten eine neue
Mythologie der heiligen Begebenheiten schaffen, die nicht bloß
im besten Falle Schönes, sondern auch Ueberzeugendes gewährt.
Das natürlichste Mittel schien lange Zeit die Verkörperung
 
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