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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,2) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47242#0211

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Beherrscherin des kleinen Bezirkes ciufzublicken. Die ganze
Gegend würde einen Theil ihrer Schönheit einbüßen, wenn man
diese Madonna ihr entführt. Es wäre ein Raub, ein Sich-
vergreifen an der wehrlosen Unschuld. Vou sieben Stationen-
bilderu begleitet, sind wir den steilen Weg hinaufgeklettert,
dann oben um das Kloster erst herum gegangen bis zu der
kleinen Terrasse an der anderen Seite, von der wir über die
niedrige, breitsteinige Mauer in den großblätterig durch ein-
ander verwachsenen Gemüsegarten dicht hinab sehen. Die
Thüre zur Kirche steht halb offen. Niemand regt sich. Nun
treten wir ein, athmen die kühle Kirchenluft und stehen vor
deni Werke. Wer würde die halbe Stunde je vergessen, die
er dort zubrachte? Welch' ein jämmerliches Schicksal für
dieses Bild, wenn wir es in eines unserer kunsthistorischen
Waisenhäuser versetzt dächten. Käme die Madonna vou Bi-
gorio nach Berlin, so würde sie gereinigt, neu eingerahmt,
katalogisirt und publicirt. Umgeben von anderen Werken,
die etwa gleichen Ursprunges wäreiff, hinge sie da. Ver-
schwunden die Erwartung, mit der man zu ihr aufstieg, die
Stille, in der man ihres Anblickes froh ward, die Erinne-
rung an den schönen Tag der ersten und letzten Begegnung.
Alle die zusammengepferchten anderen Gemälde aber haben
gleiches Schicksal gehabt. Aus welchen Häusern, Palästen
und Kirchen sind sie verkauft worden? Wir fragen nicht ein-
mal danach. Die Madonna von Bigorio würde kaum zu
den Stücken gehören, vor denen stehen zu bleiben der Mühe
werth erschiene.
Es wird aus dem günstigen Geschicke dieses Gemäldes
der Vortheil klar, der Böcklin daraus erwächst, daß seine
meisten Werke heute noch im Besitze Derer sind, die sie zuerst
 
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