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kanon der säulenordnungen in der hochrenaissance

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haben sich im neuen Kanon der Säulenordnungen ver-
dichtet. Dies ist vielleicht das entscheidende Erbe, das
Bramante der Renaissance vermacht hat.

Bramantes direkte Nachfolger haben sich intensiv mit
den Säulenordnungen beschäftigt. Raffael demonstriert
die vier lateinischen Ordnungen im „Borgobrand" (1514)
(Abb. 45) und kündigt die Behandlung der Säulenordnun-
gen im Memorandum an Leo X. an295. Antonio da San-
gallo plante schon auf UA 627 (ca. 1514)296 im Hof des
Pal. Farnese eine Supraposition von Dorica, Ionica und
Korinthia, deren Formen sich nicht nach Vitruv oder
nach dem Kolosseum richten, sondern lateinisch sind im
dargelegten Sinn. Im „Borgobrand", im Plan für den Hof
des Pal. Farnese und ebenso in der Supraposition von
dorisch, ionisch, korinthisch im Cortile di S. Damaso
setzt sich das korinthische Kapitell aus Wulst, Voluten
und Blättern zusammen. Im Plan für den Hof des Pal.
Farnese folgt auch die Dorica der lateinischen Form, die
Alberti nach dem Vorbild der Basilica Aemilia beschreibt.
Antonio da Sangallo zeichnete noch 1542 einen Kapitell-
körper, zu dem der Reihe nach erst Wulst, dann Voluten
und schließlich Akanthusblätter hinzukommen, um zu
demonstrieren, daß die dorischen, ionischen und korin-
thischen Kapitelle, wie er selbst schreibt, „eines aus dem
anderen hervorwachsen"297 (Abb. 44).

Peruzzis Studien hat Sebastiano Serlio in seinem Buch
über die Säulenordnungen (1537) ausgewertet298
(Abb. 46). Er mag Einzelheiten verändert haben und
setzte die Komposita als „una quasi quinta maniera" von
der Vierzahl der Ordnungen ab. Aber das Prinzip, nach
dem der Kanon aufgebaut ist, wird noch bei ihm deutlich.
Mehrfach beruft sich Serlio auf Bramante, die „Leuchte
der neuen Architektur", für die Gestaltung der Säulen-
ordnungen, wo sie von Vitruv abweicht299. Die Wendel-
rampe des Belvedere hielt er für das beste Werk Bra-
mantes300.

Das Pontifikat Julius' II. ist geprägt durch die unge-
stüme Tatkraft des Papstes und seines Architekten. Die
Erneuerung der Papstresidenz, der Ausbau Roms zu einer
modernen Stadt, die Festigung des Kirchenstaates und
die Stärkung der Kirche im zweiten Lateranischen Konzil

295 Raffael Camesasca, 63 s. Zu Raffael und zu den Säulenordnungen
jetzt H. Burns in: Frommel/Ray/Tafuri, 394, 396.

296 Frommel 1980/81, 131, flg. 22.

297 „Questi capitelli nascono l'uno dall'altro come si vede qui". Bezeichnun-
gen der drei entstandenen Kapitelltypen als „dorico", „ionicho",
„corintio". UA 826. Bartoli, fig. 349. Auf dem Blatt befindet sich
eine 1542 datierte Notiz.

298 Günther, Peruzzis geistiges Erbe.

299 Vgl. Anm. 241.

300 Serlio III (1619), 120r.

46. Sebastiano Serlio, Die Säulenordnungen. Regole generali

waren die Erfolge301. Dem steht auf unserem Gebiet aller-
dings eine bescheidene Bilanz gegenüber. Es gibt über-
haupt nur wenige Antikenzeichnungen, die sich ins Ponti-
fikat Julius' II. datieren lassen. Francesco Albertinis
Rombeschreibung von 1510302 ist ein populärer Führer
für ein gehobenes Publikum. Die Antikenstudien brachte
sie wenig voran. Ihre Bedeutung liegt bezeichnender-
weise in der Beschreibung des modernen Rom. Raffaele
Maffei, der Autor der Commentaria urbana (1506), be-
richtet, Julius II. sei generell an Studien und Schriften
desinteressiert gewesen. Nicht einmal die Titel der Bü-
cher, die ihm gewidmet wurden, habe er gelesen303.

301 Pastor III.

302 Albertini. Weiss 1969, 84 ss.

303 D'Amico 1980, 175, 198. Ein Beispiel für das Desinteresse
Julius' 11. an ihm gewidmeten Büchern: Op. cit., 268 Anm. 80.
 
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