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II. Simone del Pollaiuolo, gen. il Cronaca

Seine historische Bedeutung nach Vasari (66) • Kranzgesims des Palazzo Strozzi (67) • Sein Romaufenthalt (68) • Frühere Zuschrcibun-
gen von Zeichnungen (69) • Eigenhändige Zeichnungen (70) • Kopien im Codex Strozzi (73) • Weitere Kopien (82) • Bauentwürfe
(89) • Theoretische Studien (99).

Vasari entwickelt die im Grunde etwas zwiespältige
Vorstellung, daß die italienische Kunst vom Mittelalter
bis zu Michelangelo stetig ihrer Vollendung entgegen-
strebte, indem sie sich immer klarer auf die Antike zurück-
besann1. Er ordnet die Künstlerviten demnach in drei
Teile, die einander chronologisch folgen, aber nicht nur
durch die zeitliche Eingrenzung ausgezeichnet sind, son-
dern darüber hinaus jeweils einen besonderen Abschnitt
des Fortschritts umfassen: die Vorläufer, die Wegbereiter,
die Vollender. Jede Gattung bringt ihre eigenen Bahnbre-
cher hervor; die Malerei etwa Giotto, Masaccio, Leo-
nardo. Sie erfahren besondere Würdigung; die übrigen
Meister zeichnen sich durch die Vervollkommnung mehr
individueller Qualitäten aus, etwa des Sfumato bei Gior-
gione oder der Zartheit bei Correggio. Innerhalb der drei
Epochen bleiben die Künste aber nicht auf einer Stufe
stehen. Die Beiträge der untergeordneten Meister zu die-
ser Entwicklung kommen neben den bahnbrechenden
Leistungen auch zu ihrem Recht. Vasari ist gern anekdo-
tenhaft, nicht immer zuverlässig informiert und außerhalb
seines Faches vielleicht sogar ungebildet. Aber das be-
rührt sein ganzes Geschichtsbild nur am Rande. Seine
Vorstellung vom Fortschritt der Kunst und von der histo-
rischen Stellung der einzelnen Künstler in ihr spiegelt
sicher Urteile, die zu seiner Zeit allgemein verbreitet wa-
ren. Und man darf wohl annehmen, daß Vasari manchmal
weniger ignorant war, als er im positivistischen Blickwin-
kel erscheint, weil er bereit war, einzelne historische Da-
ten, die für ihn, allein genommen, wenig Gewicht be-
saßen, mehr oder minder bewußt zu entstellen, um die
Darstellung der historischen Gesamtkonzeption zu
klären.

1 Vorworte zu den drei Teilen der Viten. Vasari Milanesi I, 91-106;
II, 93-108; IV, 7-15. Zu Vasaris Historiographie zuletzt: Z. Waz-
binski, L'idee de l'histoire dans la premiere et la seconde edition
des „vies" de Vasari. In: // Vasari storiografo e artista. Atti del
Congresso interna^. 1974. Florenz 1976, 1-25.

Im Bereich der Architektur stechen zwei Protagonisten
hervor: Brunelleschi und Bramante. Ihre Viten sind nach
einem ähnlichen Schema aufgebaut, das mehr der Bekräf-
tigung der eigentlichen künstlerischen Leistung dient, als
durchwegs den wahren chronologischen Verhältnissen
zu entsprechen: Beide betätigen sich demnach zunächst
ausschließlich als bildende Künstler. Erst unter dem Ein-
druck der Antike, die sie in Rom studieren, finden sie zu
ihrer wahren Größe und wenden sich der Architektur
zu2. So entdeckt Brunelleschi die Prinzipien der antiken
Baukunst wieder, und Bramante führt die Architektur auf
ihre alte Höhe zurück. Im dritten Teil der Viten, der
ungefähr die Zeit umfaßt, die wir Hochrenaissance nen-
nen, ist Bramante die tonangebende Gestalt vor Michel-
angelo. Am Beginn der Epoche erscheinen neben ihm
zwei bedeutende Architekten: Giuliano da Sangallo und
Cronaca. Sie sind beide Florentiner - bei Vasari ein wichti-
ges Kriterium —, aber ihre Lebensbeschreibungen sind
auffallend unterschiedlich angelegt; was die Beziehung
der beiden Meister zur Antike betrifft, wirken sie gera-
dezu wie zwei Gegenpole3.

Im Unterschied zu Bramante spielt für Giuliano da
Sangallo nach Vasari das Antikenerlebnis eine sehr unter-
geordnete Rolle4. Vasari führt Giulianos Antikenstudien
trotz der beiden Skizzenbücher, die von ihm erhalten sind,
nur beiläufig an. Daß Giuliano in Rom Vermessungen
vorgenommen hat, erwähnt er gar nicht. Bei Vasaris fe-
stem Lokalpatriotismus scheint es nicht recht wahrschein-
lich, daß er die bekannten Leistungen seines Landsmanns
gegenüber Bramante herunterspielen wolle. Mit welchem

2 Op.cit. II, 327-387; IV, 145-168. In Wirklichkeit kann Brunel-
leschis- gemeinsamer Romaufenthalt mit Donatello, den Vasari
(nach Manetti) als den entscheidenden hinstellt, erst auf der Höhe
von Brunelleschis Laufbahn stattgefunden haben, und Bramante
kam als bereits bedeutender Architekt von Mailand nach Rom.

3 Op.cit. IV, 267-291, 441-454.

4 Vgl. Kap. III.
 
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