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Der Beginn der neuen Architektur


A 44: Bramantes ers-
ter Plan für den Neubau
der Peterskirche in Rom
(1505/06). Florenz, Uffi-
zien, Gabinetto Disegni e
Stampe, Arch.l.

► 45: Gründungsmedaille
für St. Peter, Rom (Cristo-
foro Caradosso, 1506).


46: S.Lorenzo, Mailand
Aufriss und Querschnitt.
Anonyme Zeichnung vor
dem Erdbeben 1573. Ca-
stello Sforzesco. Civ. Gab.
Dis. Scatola B56.


charakterisieren, Motive von den berühmtes-
ten modernen und antiken Bauten der Welt
miteinander vereinen sollte: Wie beim Floren-
tiner Dom erweitert sich die Vierung zum Ok-
togon und tragen mächtige Vierungspfeiler die
Kuppel (vgl. Abb. 70); die Kuppel ist außen
wie das Pantheon gedeckt. Wie in San Lorenzo
in Mailand (damals in die Regierungszeit Kai-

ser Maximians, 286-310, datiert und als Tem-
pel angesehen) enden die Kreuzarme in Exe-
dren und stehen Türme an den Ecken (Abb.
46).29 Die Gesamtdisposition mit Kapellen in
den Ecken und Kuppeln darüber entspricht
der Kreuzkuppeldisposition, also einem by-
zantinischen Bautyp, der sich bis nach Ober-
italien verbreitete (V,l). Die Darstellung der
äußeren Erscheinung in der Caradosso-Me-
daille gleicht im Ganzen offenkundig der Ha-
gia Sophia, so wie sie Giuliano da Sangallo im
Codex Barberini nach dem Vorbild des Ciria-
co d'Ancona gezeichnet hat (vgl. VI,2). Wahr-
scheinlich ist der byzantinische Bautyp mit
Bezug auf sie gewählt (Abb. 47). Prokops Be-
schreibung der Hagia Sophia legt für jeman-
den, der den Bau nicht selbst gesehen hat,
nahe, sie mit der tetrastylen Disposition zu
verbinden, und die Tektonik ist wirklich ver-
wandt. Im Übrigen war die Architekturtypo-
logie seinerzeit noch nicht so präzise wie heu-
te. Die Hagia Sophia wurde auch als Vorbild
für San Vitale in Ravenna und bis ins 18. Jahr-
hundert hinein für San Marco in Venedig hin-
gestellt.
Die tetrastyle Disposition war völlig unüb-
lich in der mittelitalienischen und speziell in
der römischen Bautradition; sie war auch der
weströmischen Antike fremd. Bei einem so
prominenten Bau wie der Peterskirche kann
man schwerlich annehmen, dass die Wahl der
Vorbilder zufällig gewesen sei. Man nimmt
im Allgemeinen an, dass Bautypen mit gewis-
sen ikonografischen Bedeutungen verbunden
waren. Wenn die Peterskirche als großartigs-
ter aller Sakralbauten auf der Welt erscheinen
sollte, dann musste sie auch die Hagia Sophia
übertrumpfen, die der großartigste christliche
Sakralbau der Antike war. Heidnische Tem-
pel waren angesichts der Empörung über den
Abbruch der konstantinischen Basilika nicht
so gut wie sie als Modell für den Neubau ge-
eignet. Vielleicht sollte der Neubau sich ge-
rade mit ihr messen. Die Peterskirche wurde
manchmal ohnehin der Hagia Sophia an die
Seite gestellt. Bernardo Giustiniani führt in
seiner Chronik von Venedig (1477-81) die Pe-
terskirche und die Hagia Sophia an, um die

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