Tektonik und Formen der Wölbung
^anthton^qnl.
▲ 188: Vermeintlicher Tempel der
Minerva Medica, Rom. Giovan-
ni Battista Piranesi (1720-1778).
Vedute di Roma, Radierung.
Albertis Beschreibung des
konstruktiven Gerüsts erin-
nert auf den ersten Blick
an die Gotik, da die Last
auf einige Pfeiler kon-
zentriert ist und Wider-
lager eingesetzt sind.
Die Kuppel, die sich Al-
berti vorstellt, wird wie
diejenige des Florenti-
ner Doms durch Rip-
pen zusammengehalten.
Aber Alberti hat sich an
der Antike orientiert, um
seine wegweisende Kon-
struktionstechnik zu konzi-
pieren. Er rät, die Zwischen-
räume zwischen den Rippen
/ von Kuppeln mit leichtem Mate-
rial, Zement oder Tuff, statt mit Zie-
geln zu füllen. Damals waren in oder
bei Rom mehrere antike Kuppeln dieser
Art erhalten, und es ließ sich gut erkennen,
▲ 189: Pantheon, Rom.
Demonstration der tek-
tonischen Struktur nach
J. Durm.
wie sie konstruiert waren, weil das Füllmateri-
al teilweise abgefallen war (sog. Tempio della
Minerva Medica [Abb. 188], sog. Portumnus-
tempel bei Porto). Der ruinöse Zustand der
antiken Bauten erleichterte es, die tektonischen
Strukturen zu erkennen. Beispielsweise erkann-
te Alberti, dass die Gewölbe dort nicht von den
Säulen getragen wurden, über denen sie ansetz-
ten, weil diese Säulen inzwischen manchmal
nicht mehr an ihrem Platz standen, so zum Bei-
spiel in der Konstantinsbasilika. Die komplexe
konstruktive Struktur hinter den Wänden lern-
te Alberti bei einer Analyse des Pantheons ken-
nen (Abb. 189). Widerlager, die außen sichtbar
hervortreten, sind an vielen berühmten Bauten
der Antike vorgebildet (z.B. Konstantinsbasili-
ka, Diokletiansthermen). Die Antike lieferte die
Vorbilder für die neuen Gewölbeformen, vor
allem für die Tonne. Auch die Schirmkuppel,
die Brunelleschi in kleineren Bauten gern ein-
setzte, ist in der Antike vorgebildet (Tempio di
Siepe, ehern, auf dem Marsfeld in Rom, zerst.;
Rotunde der Horti Sallustiani, Hadriansvilla
in Tivoli etc.). Im Ganzen ist Albertis Auffas-
sung, dass vornehme Bauten gewölbt sein sol-
len, durch die Antike angeregt, und nach den
Monumenten, die er als Beispiele für die von
ihm behandelten Bautypen ansah, beschrieb
er die Formen der Gewölbe im Einzelnen. Zu-
dem geben Isidor von Sevilla und die ihm fol-
genden mittelalterlichen Enzyklopädien an,
dass Gotteshäuser gewölbt sein sollen.15
Allerdings erhoben sich gelegentlich auch
Warnungen davor, die antike Tektonik einfach
nachzuahmen. Alvise Cornaro wandte sich aus-
drücklich gegen die Verwendung von Säulen,
denn sie seien so schwach, dass sie nicht mehr
als ein Gebälk tragen könnten.16 Als die Ge-
wölbe der Biblioteca Marciana in Venedig zu-
sammenbrachen (1545), entdeckte der wortge-
wandte Publizist Pietro Aretino, um seinen
Freund Jacopo Sansovino zu entschuldigen, auf
einmal: „Ich würde mich nicht wundern, wenn
alle die Gebäude, die man heute nach den Re-
geln Vitruvs errichtet, zusammenbrechen wür-
den, denn die Kleider der antiken Bauten pas-
sen nicht zu den Körpern der modernen."17
15 Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum
libri, XV.8 (8). Wiederholt von Hrabanus Maurus,
De universo (De rerum naturis libri XXII) XIV.23.
16 Fiocco 1965,157,163ff.
17 Brief an Tizian, 1546. Aretino 1957/60, II, 146-147 Nr.
CCCXXVII; Lupo 1996.
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▲ 188: Vermeintlicher Tempel der
Minerva Medica, Rom. Giovan-
ni Battista Piranesi (1720-1778).
Vedute di Roma, Radierung.
Albertis Beschreibung des
konstruktiven Gerüsts erin-
nert auf den ersten Blick
an die Gotik, da die Last
auf einige Pfeiler kon-
zentriert ist und Wider-
lager eingesetzt sind.
Die Kuppel, die sich Al-
berti vorstellt, wird wie
diejenige des Florenti-
ner Doms durch Rip-
pen zusammengehalten.
Aber Alberti hat sich an
der Antike orientiert, um
seine wegweisende Kon-
struktionstechnik zu konzi-
pieren. Er rät, die Zwischen-
räume zwischen den Rippen
/ von Kuppeln mit leichtem Mate-
rial, Zement oder Tuff, statt mit Zie-
geln zu füllen. Damals waren in oder
bei Rom mehrere antike Kuppeln dieser
Art erhalten, und es ließ sich gut erkennen,
▲ 189: Pantheon, Rom.
Demonstration der tek-
tonischen Struktur nach
J. Durm.
wie sie konstruiert waren, weil das Füllmateri-
al teilweise abgefallen war (sog. Tempio della
Minerva Medica [Abb. 188], sog. Portumnus-
tempel bei Porto). Der ruinöse Zustand der
antiken Bauten erleichterte es, die tektonischen
Strukturen zu erkennen. Beispielsweise erkann-
te Alberti, dass die Gewölbe dort nicht von den
Säulen getragen wurden, über denen sie ansetz-
ten, weil diese Säulen inzwischen manchmal
nicht mehr an ihrem Platz standen, so zum Bei-
spiel in der Konstantinsbasilika. Die komplexe
konstruktive Struktur hinter den Wänden lern-
te Alberti bei einer Analyse des Pantheons ken-
nen (Abb. 189). Widerlager, die außen sichtbar
hervortreten, sind an vielen berühmten Bauten
der Antike vorgebildet (z.B. Konstantinsbasili-
ka, Diokletiansthermen). Die Antike lieferte die
Vorbilder für die neuen Gewölbeformen, vor
allem für die Tonne. Auch die Schirmkuppel,
die Brunelleschi in kleineren Bauten gern ein-
setzte, ist in der Antike vorgebildet (Tempio di
Siepe, ehern, auf dem Marsfeld in Rom, zerst.;
Rotunde der Horti Sallustiani, Hadriansvilla
in Tivoli etc.). Im Ganzen ist Albertis Auffas-
sung, dass vornehme Bauten gewölbt sein sol-
len, durch die Antike angeregt, und nach den
Monumenten, die er als Beispiele für die von
ihm behandelten Bautypen ansah, beschrieb
er die Formen der Gewölbe im Einzelnen. Zu-
dem geben Isidor von Sevilla und die ihm fol-
genden mittelalterlichen Enzyklopädien an,
dass Gotteshäuser gewölbt sein sollen.15
Allerdings erhoben sich gelegentlich auch
Warnungen davor, die antike Tektonik einfach
nachzuahmen. Alvise Cornaro wandte sich aus-
drücklich gegen die Verwendung von Säulen,
denn sie seien so schwach, dass sie nicht mehr
als ein Gebälk tragen könnten.16 Als die Ge-
wölbe der Biblioteca Marciana in Venedig zu-
sammenbrachen (1545), entdeckte der wortge-
wandte Publizist Pietro Aretino, um seinen
Freund Jacopo Sansovino zu entschuldigen, auf
einmal: „Ich würde mich nicht wundern, wenn
alle die Gebäude, die man heute nach den Re-
geln Vitruvs errichtet, zusammenbrechen wür-
den, denn die Kleider der antiken Bauten pas-
sen nicht zu den Körpern der modernen."17
15 Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum
libri, XV.8 (8). Wiederholt von Hrabanus Maurus,
De universo (De rerum naturis libri XXII) XIV.23.
16 Fiocco 1965,157,163ff.
17 Brief an Tizian, 1546. Aretino 1957/60, II, 146-147 Nr.
CCCXXVII; Lupo 1996.
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