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Sarkode der Rhizopoden mit dem Protoplasma der vegetabilischen und animalischen Zellen identisch
sei, in neuester Zeit den wichtigen Versuch gemacht, diese bis dahin scheinbar ganz ausserhalb des
Kreises der übrigen thierischen Gewebe stehende Substanz mit diesen in Einklang zu bringen und
ihr ein bestimmtes genetisches Verhältniss zur Zellentheorie anzuweisen1).

Die Protoplasma-Theorie der Sarkode wurde bereits im Jahre 1850 von F. Cohn
in seinen „Nachträgen zur Naturgeschichte des Protococcus plumalis“ * 2) begründet, welcher aus seinen
tiefgehenden Untersuchungen „mit aller Bestimmtheit, die überhaupt einer empirischen Deduction auf
diesem Gebiete beiwohnen kann, den Schluss zieht, dass das Protoplasma der Botaniker und die
contractile Substanz und Sarkode der Zoologen, wo nicht identisch, so doch in hohem Grade analoge
Bildungen sein müssen“ (1. c. p. 664)3). Nächst Cohn war es der Wiener Botaniker Unger, der
in seiner „Anatomie und Physiologie der Pflanzen“ (1855) am bestimmtesten die Ansicht aussprach,
„dass das Protoplasma nicht als eine Flüssigkeit, sondern als eine halbflüssige, contractile Substanz
angesehen werden müsse, die der thierischen Sarkode zunächst vergleichbar ist, wo nicht gar als
identisch mit dieser zusammenfällt“ (1. c. p. 282) 4). Er zeigt dann ausführlich, wie die von Schnitze
gegebene Beschreibung der Amoeba porrecta wörtlich auf „die in einem Cellulosehäuschen einge-
schlossene Protoplasmasubstanz passt, wie sie sich in gleicher Vergrösserung in jungen Samenlappen
der Wallnuss darbietet“ (1. c. p. 284). „Betrachtet man die Bewegung der Protoplasmasubstanz in
ihrer normalen Form, so verhält sie sich ganz wie eine in fortschreitender Contraclion und Expansion
befindliche Substanz; sie erscheint sanft undulirend, wo keine Hindernisse vorhanden sind, hingegen
in mächtigen Wellen aufgethürmt bei zu überwindenden Hemmnissen. Reize anderer Art, wie
Wärme, Elektricität, chemische Agentien, wirken erregend auf den Saftstrom.“

Einige Jahre darauf machte Max Schultze, gelegentlich seiner Untersuchungen über
„innere Bewegungserscheinungen bei Diatomeen der Nordsee aus den Gattungen Coscinocliscus, Den-
ticella, Rhizosolenia“, auf die Uebereinstinnnung der Körnchenströme im Inneren dieser kieselschaligen
Organismen, im Inneren der Noctiluca, im Inneren der Pflanzenzellen und an den freien Sarkodefäden
der Rhizopoden aufmerksam (Müllers Archiv 1853, p. 330). Doch beschränkt er sich in dieser
ersten Mittheilung über die fraglichen Phänomene nur darauf, die Identität der Bewegungser-

x) Max Schultze, Die Gattung Cornuspira unter den Monothalamien und Bemerkungen über die Organisation
und Fortpflanzung der Polythalamien. Troschels Archiv für Naturgesch. 1860, p. 287. Max Schultze, Ueber Muskel-
körperchen, und das, was man eine Zelle zu nennen habe. Reicherts und Du B ois-Reym onds Archiv 1861, p. 1.

2) Nova acta naturae curiosorum, Vol. XXII, pars 2, p. 605. 1850.

3) „Dasjenige, was diePrimordialzelle (— den von keiner starren Cellulosehülle umgebenen Protoplasmaschlauch —)
am bestimmtesten charakterisirt und für ihre Bedeutung im Leben der Pflanze im Allgemeinen, namentlich aber der Schwärm-
zellen als das wesentliche Moment erscheint, ist, dass sie das Contractile am Pflanzenorganismus ist, das heisst, dass sie
die Fähigkeit besitzt, in Folge innerer Thätigkeit ihre Gestalt, ohne entsprechende Veränderung ihres
Volumens, zu verändern.“ — „Die contractile thierische Substanz (— Sarkode —) wird durch folgende Merk-
male charakterisirt: dass sie homogen oder feinkörnig, durchsichtig, eiweissartig, gallertähnlich weich sei, das Licht mehr als
das Wasser, weniger als das Oel, breche, im Wasser sich nicht löse, aber allmählich zersetze, in kaustischem Kali zerstört
werde, in kohlensaurem Kali, sowie in Alkohol und Salpetersäure gerinnend zusammenschrumpfe, dass sie wässrige Höhlungen
(— Vacuolen —) aus sich bilde, die durch Ausscheidung des in ihr gebundenen Wassers, oder Aufnahme des äusseren ent-
stünden, wobei das Uebrige dichter und körniger werde, dass sie endlich in Wasser contractile Tropfen darstelle, die sich etwa
wie eine Amoeba bewegten.“ — „Alle diese Eigenschaften besitzt auch jener Stoff der Pflanzenzelle, welche als der Hauptsitz fast
aller Lebensthätigkeiten, namentlich aller Bewegungserscheinungen im Inneren derselben, betrachtet werden muss, das Proto-
plasma. Nicht nur stimmt das optische, chemische und physikalische Verhalten desselben mit dem der
Sarkode oder der contractilen Substanz überein, sondern auch die Fähigkeit, Vacuolen zu bilden, wohnt dem pflanz-
lichen Protoplasma zu allen Zeiten und selbst ausserhalb der lebenden Zelle bei.“ — 1. c. p. 661—664.

*) „Die nächste Ursache der Saftbewegung in den Zellen kann weder in der Diosmose, noch in der Einwirkung des
Kernbläschens auf den Zelleninhalt, noch in irgend einer mechanischen Einrichtung, wie z. B in Flimmerorganen u. s. w. ge-
sucht werden, sondern sie liegt vielmehr in der Beschaffenheit des sich bewegenden Protoplasma, welches als ein vorzugsweis
stickstoffhaltiger Körper nach Art jener einfachen contractilen thierischen Substanz, welche man Sarkode nennt, in der Form
einer rhythmisch fortschreitenden Contraction und Expansion in die Erscheinung tritt.“ Unger, 1. c. p. 280.
 
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