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I. Geschichtliche Einleitung

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Eie Radiolarien oder radiaeren Rhizopoden gehören unter den zahlreichen Thieren ver-
schiedener Klassen, welche die umfangreichen mikroskopischen Forschungen der drei letzten Decennien
aus dem vorher wenig bekannten Gebiete der niederen Wirbellosen an das Licht gefördert haben, zu
denjenigen, welche erst in der neuesten Zeit genauer bekannt und bisher nur von den wenigsten
Naturforschern der Aufmerksamkeit gewürdigt worden sind. Kaum sind 25 Jahre verflossen, seit die
ersten eingehenderen Beobachtungen sowohl an einzelnen lebenden, als an einer grossen Anzahl fossiler
Formen dieser Abtheilung angestellt wurden, und erst innerhalb der letzten 5 Jahre verband Johannes
Müller, in den letzten Arbeiten, mit denen dieser grosse Meister seine ruhmreiche Laufbahn beschloss,
die verschiedenen, scheinbar weit auseinander liegenden Glieder der Abtheilung durch die Erkenntniss
ihrer gemeinsamen Fundamentalstructur zu einem natürlichen Ganzen und wies ihnen ihre naturge-
mässe Stellung im zoologischen Systeme, als eine der Polythalamiengruppe analoge Abtheilung der
Rhizopodenklasse an '). Es kann auffallend erscheinen, dass eine so umfangreiche und weitverbreitete
Thiergruppe, deren zahlreiche Gestalten nicht minder durch den unerschöpflichen Reichthum und die
phantastische Mannigfaltigkeit der Erfindung, als durch die unübertroffene Eleganz und die mathematische
Regelmässigkeit der Ausführung, mit Recht die höchste Bewunderung erregen, so lange Zeit dem Auge
der Forscher völlig verborgen bleiben, und auch nach ihrem Bekanntwerden bisher so wenige Ar-
beiter zu weiterem Eindringen anlocken konnte. Indess lässt sich diese befremdliche Erscheinung
einerseits mit der seltsamen Gestaltung selbst und mit den sehr passiven und wenig ausgesprochenen
Lehenserscheinungen der Thierchen entschuldigen, die gewiss manchen Beobachter verleitet haben
mögen, zufällig gefangene Radiolarien für leblose Fragmente oder abgelöste Theile von anderen
Organismen zu halten, andrerseits mit dem Umstande, dass sich dem Fange der Thiere im lebenden
Zustande ungewöhnliche Schwierigkeiten entgegen stellen, die theils in der ausschliesslich oder wenig-
stens vorwiegend pelagischen Verbreitung, theils in der durchschnittlich sehr geringen Grösse der-
selben begründet sind. Die grössten einzeln lebenden Radiolarien sind unscheinbare kugelige Gallerl-
klümpchen von wenigen Linien Durchmesser; die allermeisten bleiben aber weit hinter dieser Grösse
und hinter der Mehrzahl der nahverwandten Polythalamien zurück, erreichen kaum XV—io Linie
Durchmesser und entziehen sich gewöhnlich dein unbewaffneten Auge völlig. Aus diesen Gründen
sind auch die zerstreuten Notizen früherer Naturforscher, welche man etwa auf zufällige Wahrnehmung
einzelner Radiolarien beziehen könnte, üussersl spärlich und keine andere gleich umfangreiche Ab- i)

i) Johannes Müller, lieber die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres. Aus den Ab-
handlungen der Berliner Akademie 1858. Wo in der Folge „Müller, Abhandl.” angeführt wird, ist stets dieses Werk, und nicht
die einzelnen Mittheilungen in den Monatsberichten der Akademie, verstanden.

tiaeckel, Radiolarien. 1
 
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