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IV.

Betrachtung e n

über die

Grenzen und Verwandtschaften der Radiolarien

und über die

Systematik der Rhizopoden iin Allgemeinen.

Rer Umfang und die Grenzen der Rhizopodenklasse sind dadurch, dass Johannes Müller
die wahre Natur der Radiolarien als Rhizopoden erkannte und ihre Verwandtschaft zu den übrigen Rhi-
zopoden, insbesondere den Polythalamien, nachwies, wesentlich verändert und erweitert worden. Ebenso
haben auch die verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Ordnungen, welche man bisher in
der Klasse der Rhizopoden annahm, durch die Einverleibung dieses neuen, umfangreichen Contingenles
wesentliche Veränderungen erfahren und die einzelnen Glieder des Ganzen sich in neuen Stellungen
einander gegenüber gruppirt. Die Uebereinstimmung der Radiolarien mit den Polythalamien in vielen
wesentlichen Charakteren, die man bisher in beiden Ordnungen als durchgehend different betrachtete,
macht es nöthig, nach neuen Principien zu suchen, welche beide Ordnungen durchgreifend zu scheiden
und eine Feststellung ihrer gegenseitigen Beziehungen herbeizuführen vermögen, die nach dem Umfang
der bisherigen Kenntnisse nicht möglich war. Um über diese Beziehungen und über die systematischen
Verhältnisse der Rhizopoden im Allgemeinen, welche wir dabei nothwendig berücksichtigen müssen,
einen klaren Ueberblick zu gewinnen, scheint es am vortheilhaftesten, zuvor einen flüchtigen, ge-
schichtlichen Rückblick auf die bisherige Entwicklung unserer Kenntnisse von dieser Protozoenklasse
zu werfen, dann die bis jetzt vorliegenden Versuche einer systematischen Ordnung derselben zu prüfen
und endlich der gegenwärtigen Summe unserer Kenntnisse von den Rhizopoden in dem Versuche
eines natürlichen Systemes den prägnantesten Ausdruck zu geben.

Die Klasse der Rhizopoden wurde im Jahre 1835 von Dujardin aufgestellt, auf Grund von
Untersuchungen, welche derselbe an lebend im Mittelmeere beobachteten Foraminiferen aus den Gat-
tungen Miliola, Vorticialis, Rotalm, Truncatulina, Cristellaria angestellt hatte. Die Foraminiferen
oder Polythalamien, deren zierliche Kalkschalen durch ihre Formenmannichfalligkeit und die un-
geheuren Mengen, in denen sie sowohl im Seesande als in tertiären Gebirgsmassen verbreitet sind,
schon vor mehr als 100 Jahren die Aufmerksamkeit vieler Forscher auf sich gezogen hatten und seit
den ersten Beobachtungen von Beccarius (1731) und Breyn (1732) und den ersten Abbildungen
von Janus Plancus (1739) in zahlreichen Werken beschrieben und abgebildet worden waren,
galten bis auf Dujardin allgemein für Mollusken aus der Klasse der Cephalopoden. Dieser Irrthum,
der aus der oberflächlichen Aehnlichkeit mancher dieser Schalen mit den gekammerten Gehäusen
mancher echten Cephalopoden (namentlich Nautilus und Ammonites) entsprungen war, wurde über
100 Jahre unverändert festgehalten, und noch zuletzt durch das 1826 veröffentlichte, umfangreiche
Werk von A. d'Orbigny: „Tableau methodique de la classe des Cephalophodes“ gestützt und weiter
ausgedehnt. In dieser Arbeit werden, gestützt auf die Untersuchung von mehr als 600 Species, die
Foraminiferen zuerst als eine besondere Ordnung der Cephalopoden aufgestellt und in Familien und
 
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