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Unter dem Einfluss der Pisani entfaltete sich der grösste Genius
des vierzehnten Jahrhunderts. Er sah die Dinge, wie sie sind, den
Himmel blau und nicht golden, die Erde bevölkert mit Menschen
von Fleisch und Blut, mit Menschen, die leben, fühlen und handeln.
Doch er empfand mehr als das; ihm offenbarte sich auch das
geistige Wesen der Dinge. Seine Darstellung der heiligen Legende
ist von einer solchen religiösen Tiefe und Empfindung, dass er darin
der streng kirchlichen Kunst des Byzantinismus nicht nachsteht. Was
Giotto geschaffen, sind nicht mehr nur religiöse Symbole, es sind vom
Geist des Glaubens erfüllte reale Gestalten. Statt der körperlosen
Wesen, die in den Kirchen nur dekorativen Zwecken dienten, hat
er wirkliche Menschen gemalt. Wohl haftet ihnen noch etwas Welt-
fremdes an, aber was für eine frische Lebensfreudigkeit spricht schon
aus ihnen! Die geitige Gestaltungskraft eines Dante und die Genialität
eines Shakespeare finden sich in ihm vereinigt, und in dieser innigen
Verschmelzung des idealen Lebens mit beseelter Wirklichkeit offenbart
sich der grosse Geist Giotto’s.
Von der Hand dieses Künstlers besitzen wir ein Gemälde seiner
früheren Zeit in der Anbetung der Könige in Santa Maria dell’ Arena
zu Padua. Hier ist mit den einfachsten künstlerischen Mitteln, mit
elementarer Licht- und Schattenwirkung ein Meisterstück geschaffen,
dem man nichts hinzufügen, noch das Geringste wegnehmen könnte,
ohne die grossgedachte Schönheit desselben zu stören. Spätere Maler,
denen alle Kunstmittel zur Verfügung standen, haben niemals eine er-
greifendere Darstellung zu stände gebracht. Wir fragen uns nun :
Worin besteht die Grösse, das Neue dieses Werkes?
Wir sehen eine Komposition, welche in ihrer Einfachheit durch
den Vorgang selbst bedingt erscheint, und doch ist die Stellung einer
jeden Figur mit feinster Ueberlegung ersonnen. Rechts auf dem Bilde
sieht man die heilige Familie auf einem Felsen unter dem Dach einer
kleinen Hütte, Maria sitzt auf einem Thronsessel, das ernst blickende
Kind in Windeln auf ihrem Schosse. Würdig steht Joseph neben ihr
mit gekreuzten Armen ; den Kopf auf die Brust gesenkt, scheint er
vor sich hin zu träumen. Dieser Figur entsprechend, steht rechts von
der Madonna ein Engel, der dadurch mit der Szene in inneren Zu-
sammenhang gebracht ist, dass er das schon übergebene Geschenk des
ersten Königs in den Händen hält. Um diese symmetrische Gegenüber-
stellung nicht zu deutlich hervortreten zu lassen, ist ein zweiter, etwas
zurückstehender Engel angebracht, von dem aber nur der Oberkörper
sichtbar ist. Von tiefster Ehrfurcht erfüllt, kniet der greise König mit
Unter dem Einfluss der Pisani entfaltete sich der grösste Genius
des vierzehnten Jahrhunderts. Er sah die Dinge, wie sie sind, den
Himmel blau und nicht golden, die Erde bevölkert mit Menschen
von Fleisch und Blut, mit Menschen, die leben, fühlen und handeln.
Doch er empfand mehr als das; ihm offenbarte sich auch das
geistige Wesen der Dinge. Seine Darstellung der heiligen Legende
ist von einer solchen religiösen Tiefe und Empfindung, dass er darin
der streng kirchlichen Kunst des Byzantinismus nicht nachsteht. Was
Giotto geschaffen, sind nicht mehr nur religiöse Symbole, es sind vom
Geist des Glaubens erfüllte reale Gestalten. Statt der körperlosen
Wesen, die in den Kirchen nur dekorativen Zwecken dienten, hat
er wirkliche Menschen gemalt. Wohl haftet ihnen noch etwas Welt-
fremdes an, aber was für eine frische Lebensfreudigkeit spricht schon
aus ihnen! Die geitige Gestaltungskraft eines Dante und die Genialität
eines Shakespeare finden sich in ihm vereinigt, und in dieser innigen
Verschmelzung des idealen Lebens mit beseelter Wirklichkeit offenbart
sich der grosse Geist Giotto’s.
Von der Hand dieses Künstlers besitzen wir ein Gemälde seiner
früheren Zeit in der Anbetung der Könige in Santa Maria dell’ Arena
zu Padua. Hier ist mit den einfachsten künstlerischen Mitteln, mit
elementarer Licht- und Schattenwirkung ein Meisterstück geschaffen,
dem man nichts hinzufügen, noch das Geringste wegnehmen könnte,
ohne die grossgedachte Schönheit desselben zu stören. Spätere Maler,
denen alle Kunstmittel zur Verfügung standen, haben niemals eine er-
greifendere Darstellung zu stände gebracht. Wir fragen uns nun :
Worin besteht die Grösse, das Neue dieses Werkes?
Wir sehen eine Komposition, welche in ihrer Einfachheit durch
den Vorgang selbst bedingt erscheint, und doch ist die Stellung einer
jeden Figur mit feinster Ueberlegung ersonnen. Rechts auf dem Bilde
sieht man die heilige Familie auf einem Felsen unter dem Dach einer
kleinen Hütte, Maria sitzt auf einem Thronsessel, das ernst blickende
Kind in Windeln auf ihrem Schosse. Würdig steht Joseph neben ihr
mit gekreuzten Armen ; den Kopf auf die Brust gesenkt, scheint er
vor sich hin zu träumen. Dieser Figur entsprechend, steht rechts von
der Madonna ein Engel, der dadurch mit der Szene in inneren Zu-
sammenhang gebracht ist, dass er das schon übergebene Geschenk des
ersten Königs in den Händen hält. Um diese symmetrische Gegenüber-
stellung nicht zu deutlich hervortreten zu lassen, ist ein zweiter, etwas
zurückstehender Engel angebracht, von dem aber nur der Oberkörper
sichtbar ist. Von tiefster Ehrfurcht erfüllt, kniet der greise König mit