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zum Beispiel der grellgelbe Mantel des Joseph die Hauptfarbe des
Bildes, so dass das Auge, dadurch gestört, unwillkürlich die Madonnen-
gruppe verlassen muss und auf ihm haften bleibt.
Bei Lionardo herrscht ein vollkommenes Gleichgewicht im ganzen
Bilde, durch Linienführung, Massenverteilung und Lichtwirkung her-
beigeführt, und dies Alles ist der Bedeutung des dargestellten Augen-
blickes untergeordnet. Bei Filippino ist die Komposition im Ganzen
ähnlich, jedoch herrscht das Unruhige, das Unsichere vor; die Linien-
führung ist stets durchbrochen, und die zu Grunde liegenden, geo-
metrischen Formen sind nicht vollkommen durchgebildet.
Wie Filippino hier von dem gesetzmässig tektonischen Bau ab-
weicht, so greift er auch in seiner porträtmässigen Behandlung der
einzelnen Gestalten auf eine niedrigere Entwicklungsstufe der Kunst
zurück. In den Anbetern selbst erblicken wir Mitglieder der Medici-
familie. Diese Porträtfiguren sind mit treffender Charakteristik dar-
gestellt. Die Gewandung ist wulstig und eckig, und bauschige Dra-
perieen drängen sich dem Beschauer auf. In der Absicht, alles gleich-
mässig mit Leben auszufüllen, liess Filippino keine durchgehende
Falte oder ruhige Fläche zur Geltung kommen.
Der naiv-schöne Kopf eines jungen Pagen, welcher die Krone
vom Haupte des dritten Königs nimmt, wie auch die Lieblichkeit der
Madonna zeigen den zarten Pinsel, der noch im stände ist, einen ge-
wissen, sentimentalen Reiz hervorzurufen. Die Gesichter des übrigen
Gefolges sind aber bereits von jener Hässlichkeit der Züge, jener
Uebertreibung im Ausdruck und Gebärden, welche Filippino’s spätere
Fresken in Santa Maria Novella beeinträchtigen.
Des Malers weiches Temperament, das in der Wiedergabe des
Zierlich-Feinen Anziehendes schaffen konnte, wurde unruhig und ma-
niriert in dem Bestreben, eine grössere Scene dramatisch belebt dar-
zustellen. In dieser Periode seines Schaffens scheint bei ihm eine
schlichte, ernste Durchführung der Komposition im Ganzen unmög-
lich, und trotz der klaren, von Lionardo entlehnten Unterlage wirkt
das Bild unruhig und wirr. Die Einzelheiten sind der Hauptwirkung
nicht untergeordnet. Man sieht wohl, dass die die Madonna umge-
benden Figuren lebhaften Anteil an der Handlung nehmen, fühlt aber
nicht die innere Notwendigkeit, welche sie dazu zwingt; in anderen
Worten, es fehlt den Gestalten an geistiger Signifikanz.
Wenn schon der Vordergrund mit seinen vielen, unruhigen Fi-
guren und Details geeignet ist, die Aufmerksamkeit von der eigent-
lichen Anbetung abzulenken, so trifft das um so mehr für den Hinter-
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