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Hartlaub, Gustav Friedrich; Heise, Carl Georg [Hrsg.]
Das neue Bild: Bücher für die Kunst der Gegenwart (Band 2): Kunst und Religion: ein Versuch über die Möglichkeit neuer religiöser Kunst — Leipzig, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.16795#0061
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DRITTES KAPITEL:

KUNST UND RELIGION IM 19. JAHRHUNDERT

lEDER Versuch, die Frage nach Sein und Sinn einer religiösen Kunst für die '
# gegenwärtige Kulturmenschheit zu beantworten, muß ausgehen von jenem
historischen Augenblick, in dem man zum erstenmal wieder den Druck dieser
Frage empfand und sogleich daran ging, sie praktisch zu lösen. Dieser
wunderbare Augenblick ist uns gegeben in jenem merkwürdigen Wieder*»
erwachen des metaphysischen Ichbewußtseins in der Generation des Novalis,
die es — nach soviel Aufklärung und stolzem Heidentum der Seele —
plötzlich wieder gelüstete, sich an ein Übersinnliches innig, kindlich und
unbedingt hinzugeben, statt es im besten Fall bloß als eine Voraussetzung
der praktischen Vernunft anzuerkennen. Aus der Romantik, also rein zeit-*
lieh aus derselben Generation am Anfang des Jahrhunderts, in der die
moderne Kunst überhaupt wurzelt, ist auch der epochemachende Versuch
einer Erneuerung der religiösen Malerei hervorgegangen. Das Nazarener*
tum der deutschen Klosterbrüder von San Isidoro bedeutete den gleichsam
organisierten und systematischen Versuch, der neuen bürgerlich * christlichen
Gesellschaft eine neue christlich* bürgerliche Kunst zu schaffen. In einer Zeit,
die nicht mehr das »objektive« religiöse Bewußtsein*) früherer Jahrhunderte
besaß, gehörte dazu vor allem die Erneuerung des religiösen Glaubens. Es
war nun der <in seiner tiefen Romantik heute sehr mit Unrecht belächelte)
Wille des Künstlers, dies eigentlich religiöse Erlebnis aus eigener Kraft, d. h.
aus seiner zunächst nur »poetischen« Geistgläubigkeit wieder zu erwecken,
und erst auf Grund solcher persönlichen Heiligung im Sinne Wackenroders
an eine Erneuerung der religiösen Kunst zu gehen. Bei weitem der größte
Teil der geistigen Arbeit mußte auf diese innere Vorbereitung verwandt
werden, die nur in sektiererischer Ablösung vom Leben und der Gesell*

*) Vergl. Simmel, Rembrandt, und die hier durchgeführte höchst brauchbare Scheidung einer »ob»
jektiven« und einer »subjektiven« Religion.

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