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Alfred Bassermann

Tn meiner Inferno-Übersetzung war ich auf Grund der bekannten
Ausführungen Dantes in seiner Schrift De Monarchia1) zunächst zu der
Auffassung gelangt, dass Dante mit dem Veltro nur seinen idealen
Weltkaiser gemeint haben könne, dem er dort die Aufgabe zu-
gewiesen hat, als allmächtiger und darum wunschloser Herr der Erde
Friede, Gerechtigkeit und Freiheit aufrecht zu erhalten und dadurch
das Menschengeschlecht in den Hafen der zeitlichen Glückseligkeit zu
lenken. Dieser erste Schritt wird von vielen anderen Erklärern in
gleicher Weise gethan. Dann wirkt aber meist der Nachsatz der Veltro-
Beschreibung verwirrend ne sua nazion scirä tra feltro e feltro,“ das von
Vielen als geographische Bestimmung, von Anderen noch willkürlicher
gedeutet zu den manchfachsten Auslegungen verleitete2)- Mich ver-
anlagte eine Stelle bei Villani zu einer anderen Deutung. Dieser
schreibt, wo er von dem ersten Auftreten der Tartaren berichtet, V.
cp. 29: „Allora si congregarano insieme e fecero per divina visione
loro Imperadore e signore uno fabbro di povero stato, che avea nome
Gang ins, il quäle in su uno povero feltro fu levato Imperadore;
e come egli fu fatto signore, fu soprannomato Cane, cioe in loro lin-
guaggio Imperadore.“ Das Zusammentreffen der Wortgruppen
feltro, Cane (= Hund) und Imperadore bei Villani und feltro,
Veltro (= Hund) und der Weltkaiser bei Dante, schien mir zu
auffallend, um zufällig sein zu können, und da sich mir in Marco
Polo’s Schilderungen vom Reich der Tartaren und ihrem Gross-Chan
das Bild eines Weltherrschers von ebenso staunenswerter Machtfülle als
Weisheit und Regententugend bot, so kam ich zu der Vermutung, dass
diese Vorstellung vom Gran Cane der Tartaren, der auf
schlichtem Filz zum Kaiser erhoben wurde, auch in
Dantes Bild vom Veltro Einganggefunden h a b e , wobei ich
aber ausdrücklich hervorhob, dass Dante natürlich nicht den wirklichen
Dschingischan der Geschichte vor Augen hatte, sondern nur eben jenen
gewaltigen, weisen und gerechten Weltherrscher, wie ihn die Kunde aus
dem fernen Asien schilderte3).

1) cf. meine Inferno-Übersetzung p. 16 ff.

2) cf. die S. 29 Anm. 2 angeführten Stellen bei Scartazzini und Kraus.

3) Die Spur einer ähnlichen, wenn auch in Einzelheiten abweichenden Auf-
fassung findet sich schon in dem Commentar Boccaccio’s, der sie aber auch nicht
versteht und kopfschüttelnd bei Seite schiebt (Comento ed. Milanesi, Florenz 1863
I. p. 194): Alcuni altri accostandosi in ogni cosa alla predetta oppenione, danno
del tra feltro e feltro una esposhione assai pellegrina, dicendo s'e estimare la di-
mostrazione di questa mutazione, cioe del permutarsi i costumi degli uomini, e gli
 
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