Veltro, Gross-Chan und Kaisersage
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Immer wieder finden wir eine Mischung der verschiedenartigsten
Elemente. Aber gerade die Art, wie sie durcheinandergähren, führt uns
recht vor Augen, wie phantastisch und nebelhaft und doch zugleich be-
rückend und gewaltig das Bild war, das die abendländische Christenheit
von jenem Herrscher des Ostens sich geschaffen hatte.
Wenn wir nun Halt machen und den langen Weg zurückblicken
nach der Stelle des Johannes von Hildesheim, von der wir ausgegangen
sind, so glaube ich, dass der innerste Zusammenhang jener Sage, der
Gross-Chan der Tartaren habe seinen Schild an dem
dürren Baum im Tempel zuThauris aufgehängt und sich
damit der Weltherrschaft versichert, nun deutlich vor uns
liegt. Dieser Gross-Chan ist nicht der Schrecken des Abendlandes, wie
er sich dem späteren Blicke darstellt, sondern der mit allem Zauber des
Geheimnisvollen umwobene Herrscher des Ostens, von dem die Christen-
heit die entscheidende Hülfe im Kampf gegen die Ungläubigen erhofft,
der für die träumende Phantasie geradezu zu dem für das Ende der
Tage prophezeiten mystischen Weltherrscher emporwächst. Denn als
dieser bekundet er sich durch die symbolische Handlung, dass er seinen
Schild am dürren Baum aufhängt. Die Brücke aber zwischen dem
Gross-Chan und dem letzten Kaiser schlägt die Alexander-Sage und die
Ogier-Sage. Die Alexander-Sage enthüllt uns, dass die tiefsten Gedanken
der Kaisersage weit über diese hinaufreichen und verweist das Haupt-
motiv, dass die Siegeslaufbahn des Welteroberers an den Wunderbäumen
ihre tragisch gestimmte Vollendung und Besiegelung findet, in den
fernsten Osten des Erdkreises. Die Bäume weissagen dem Alexander
die Weltherrschaft und einen frühen Tod und legen damit in uns schon
den verborgenen Keim des Gedankens, dass der Held, der sein Leben
nicht ausgelebt habe, auch nicht unwiederbringlich gestorben sein könne.
In der Ogier-Sage sodann vereinigen sich alle wesentlichen Elemente
der christlichen Kaisersage und der Alexandersage. Auf der einen Seite
ist Ogier vollkommen der Kaiser der Kaisersage, der Gotteskämpfer —
messo di Dio, ist man versucht zu sagen —-, in dessen Hand das Heil
der Christenheit liegt, der eine Zeit im Verborgenen lebt, um, wenn die
Not am höchsten gestiegen ist, als Retter zurückzukehren. Auch seine
erbitterte Fehde mit König Karl entspricht ganz dem scharfen Gegen-
satz, in dem Kaiser Friedrich zum Lilienkaiser sich zeigt. Auf der
anderen Seite wird auch bei ihm, ebenso wie bei Alexander, das Schwer-
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Immer wieder finden wir eine Mischung der verschiedenartigsten
Elemente. Aber gerade die Art, wie sie durcheinandergähren, führt uns
recht vor Augen, wie phantastisch und nebelhaft und doch zugleich be-
rückend und gewaltig das Bild war, das die abendländische Christenheit
von jenem Herrscher des Ostens sich geschaffen hatte.
Wenn wir nun Halt machen und den langen Weg zurückblicken
nach der Stelle des Johannes von Hildesheim, von der wir ausgegangen
sind, so glaube ich, dass der innerste Zusammenhang jener Sage, der
Gross-Chan der Tartaren habe seinen Schild an dem
dürren Baum im Tempel zuThauris aufgehängt und sich
damit der Weltherrschaft versichert, nun deutlich vor uns
liegt. Dieser Gross-Chan ist nicht der Schrecken des Abendlandes, wie
er sich dem späteren Blicke darstellt, sondern der mit allem Zauber des
Geheimnisvollen umwobene Herrscher des Ostens, von dem die Christen-
heit die entscheidende Hülfe im Kampf gegen die Ungläubigen erhofft,
der für die träumende Phantasie geradezu zu dem für das Ende der
Tage prophezeiten mystischen Weltherrscher emporwächst. Denn als
dieser bekundet er sich durch die symbolische Handlung, dass er seinen
Schild am dürren Baum aufhängt. Die Brücke aber zwischen dem
Gross-Chan und dem letzten Kaiser schlägt die Alexander-Sage und die
Ogier-Sage. Die Alexander-Sage enthüllt uns, dass die tiefsten Gedanken
der Kaisersage weit über diese hinaufreichen und verweist das Haupt-
motiv, dass die Siegeslaufbahn des Welteroberers an den Wunderbäumen
ihre tragisch gestimmte Vollendung und Besiegelung findet, in den
fernsten Osten des Erdkreises. Die Bäume weissagen dem Alexander
die Weltherrschaft und einen frühen Tod und legen damit in uns schon
den verborgenen Keim des Gedankens, dass der Held, der sein Leben
nicht ausgelebt habe, auch nicht unwiederbringlich gestorben sein könne.
In der Ogier-Sage sodann vereinigen sich alle wesentlichen Elemente
der christlichen Kaisersage und der Alexandersage. Auf der einen Seite
ist Ogier vollkommen der Kaiser der Kaisersage, der Gotteskämpfer —
messo di Dio, ist man versucht zu sagen —-, in dessen Hand das Heil
der Christenheit liegt, der eine Zeit im Verborgenen lebt, um, wenn die
Not am höchsten gestiegen ist, als Retter zurückzukehren. Auch seine
erbitterte Fehde mit König Karl entspricht ganz dem scharfen Gegen-
satz, in dem Kaiser Friedrich zum Lilienkaiser sich zeigt. Auf der
anderen Seite wird auch bei ihm, ebenso wie bei Alexander, das Schwer-