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F. Ed. Schneegans

poetes de son temps), wenn er an Fürstenhöfen gelebt hätte“. Seine
Werke sind so voll von „tausend schönen Farben“, dass sie, meint
Marot, auch in Zukunft fortleben werden. Freilich sollte auch Villon
dem Übereifer der Dichter der Pleiade zum Opfer fallen. Du Bellay
erwähnt ihn nicht in seiner „Deffense et illustration de la langue fran-
y-oyse“ und verwirft die von Villon gepflegten mittelalterlichen Gattungen
als „episseries qui corrumpent le goust de nostre langue“. 1542 er-
scheint die letzte Ausgabe von Villon’s Wrken.

Villon hatte aber stille Verehrer unter den Altertumsforschern wie
Fauchet und den Dichtern, die unabhängig von dem klassischen Ideal
im 17. Jahrhundert die „poesie gauloise“ pflegten. So erhält sich das
Andenken Villon’s bis zur Zeit der Romantiker, des Wiederauflebens
des Interesses am Mittelalter. Die Romantiker haben ihn wieder zu
Ehren gebracht. Theophile Gautier setzte ihm ein Denkmal in seinen
„Grotesques“ (1832). Die wissenschaftliche Forschung nahm die vor
drei Jahrhunderten von Marot begonnene kritische Herausgabe und Er-
klärung der Werke Villon’s wieder auf.1 2) Einige Gedichte, in denen
Villon die geheimsten Falten seines gequälten Herzens erschlossen, sein
körperliches und seelisches Elend mit ergreifender, oft schauerlicher
Wahrheit geschildert hat, linden einen Wiederhall bei den Lesern auch
zu einer Zeit, wo die zahlreichen Anspielungen auf Zeitgenossen und
zeitgenössische Verhältnisse, an denen seine Werke besonders reich sind,
längst nur mit Mühe verstanden werden.

Das Wenige, was wir über Villon’s Leben wissen, entnehmen wir
seinen Werken, den Lais (Vermächtnisse, gewöhnlich Petit Testament
genannt), dem Testament (Grant Testament) und lyrischen Gedichten.
Manch dunkele Punkte hat erst die neuere Forschung erhellt: könig-
liche Gnadenbriefe, Gerichts- und Parlamentsakten lassen uns in die
Tiefe des Elends blicken, in dem Villon sich bewegt hat und beleuchten
unheimlich das Bekenntnis des Dichters, das wir am Anfang des Grant
Testament lesen :

Eti l’an de mon trentiesme aage-)

Que toutes mes hontes j’euz beues . . .

1) Beste Ausgabe der Werke Villon’s: Oeuvres completes de Francois Villon
par Aug. Longnon. Paris, Lemerre 1892. — G. Paris, Francois Villon (Les grands
ecrivains francais). Paris, Hachette 1901 (neuere Litteratur das. S. 189); ders. Vil-
loniana Romania XXXI p. 357 ff. (sprachliche und metrische Beobachtungen. Text-
kritische Bemerkungen); G. Gröber, Grundriss der roman. Philologie. Französische
Litteratur S. 1161 f.

2) G. Paris (Romania XXX S. 362) liest „en l’an trentiesme de mon aage“,
weil Villon sonst nie e, a in Iiiat als Silbe zählt.
 
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