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Chaniotis, Angelos [Hrsg.]; Berg, Manfred [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Überzeugungsstrategien — Berlin, Heidelberg [u.a.], 52.2008 [erschienen 2009]

DOI Artikel:
Steinhoff,Christine: "Was kläfft ihr denn?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11274#0125
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Christine Steinhoff

zu einer konkreten politischen Situation formuliert, sondern grundsätzliche
weltanschauliche Fragen in einer entsprechend komplexen Form verhandelt,
erschließen sich die eingesetzten Überzeugungsstrategien weniger leicht. Doch
zunächst sei allgemein nach den Möglichkeiten literarischen Überzeugens ge-
fragt. Da hier nicht alle Facetten dieses breiten Themenfeldes behandelt werden
können, soll nur einer der wichtigsten Aspekte erörtert werden: die Rolle von
Rhetorik und Argumentation in literarischen Werken.

1 Überzeugungsstrategien in der Literatur

Seit der Antike ist Literatur rhetorisch instruiert. Aus den Anleitungen, welche
die Rhetorik für die wirkungsvolle Rede bereitstellt, übernimmt sie nicht nur
die Muster für die stilistische Ausschmückung (ornatus), sondern auch die
Mittel der Beweisführung (argumentatio). Trotz des offiziellen Bruchs mit der
Rhetorik, welcher im Zuge der Genieästhetik des Sturm und Drang und des
Autonomiepostulats der Romantik vielfach verkündet wurde, setzt sich die
Verwendung des antiken Instrumentariums unterschwellig fort. Zwar werden
die rhetorischen Techniken nicht mehr wie im Barock offen zur Schau gestellt.
Doch man entsagt ihnen nicht gänzlich, sondern hält sie getreu der Devise
ars est celare artem - (wahre) Kunst ist, die Kunst zu verbergen - lediglich
verborgen.

An rhetorischen Vorgaben orientierte Überzeugungsversuche begegnen in
der Literatur vor allem in zwei Spielarten: 1. in der unmittelbar appellativen
Rede und 2. in der Abbildung von lebensweltlichen Kommunikationsvorgän-
gen, in denen Überzeugungsarbeit geleistet wird (Gerichtsverhandlungen, Ver-
kaufsgespräche, Erkenntnisdiskurse, Liebeswerbung usw.). Bei der ersten Spiel-
art ist die Rede eines Erzählers oder eines lyrischen Ichs direkt an die Rezi-
pienten gerichtet: „O hochverehrtes Publikum, / sag mal: bist du wirklich so
dumm" (Kurt Tucholsky, An das Publikum). Im Unterschied dazu finden Über-
zeugungsversuche der zweiten Spielart auf der Ebene der Figureninteraktion
statt. Ihre Wirkung auf die Rezipienten ist sehr viel mittelbarer: Anstelle der
Leser bzw. Zuschauer ist zunächst ein innerfiktionaler Adressat angesprochen.
Inwieweit dieser Dialogpartner als Identifikationsfigur angelegt ist und das
Publikum mit diesem gleich mit überzeugt wird, ist für den Einzelfall zu ent-
scheiden. Denkbar ist natürlich auch, daß die Äußerungen einer Figur durch
entsprechende Sympathielenkungsverfahren oder den Einschub einer Gegen-
argumentation gezielt disqualifiziert werden. In Thomas Manns Der Zauber-
berg rückt etwa der Erzählerhinweis auf die Seidentapeten in Naphtas Zim-
mer dessen kommunistisch inspirierte Argumentationen in ein fragwürdiges
Licht.

Die Anverwandlung rhetorischer Techniken muß nicht zwangsläufig darauf
angelegt sein, die Glaubwürdigkeit einer Rede zu befördern. Thomas Mann
überspitzt im Zauberberg die rhetorische Brillanz Settembrinis derart, daß
 
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