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Chaniotis, Angelos [Hrsg.]; Berg, Manfred [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Überzeugungsstrategien — Berlin, Heidelberg [u.a.], 52.2008 [erschienen 2009]

DOI Artikel:
Schneidmüller, Bernd: Mittelalterliche Geschichtsschreibung als Überzeugungsstrategie
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https://doi.org/10.11588/diglit.11274#0182
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Mittelalterliche Geschichtsschreibung
als Überzeugungsstrategie

Eine Königswahl des 12. Jahrhunderts
im Wettstreit der Erinnerungen

BERND SCHNEIDMÜLLER*

1 Einleitung

Geschichtsschreibung im Mittelalter verfolgte viele Absichten.1 Diese sind
kaum in klaren Funktionalitäten zu erfassen (Goetz 1999). Neben den Wunsch,
das Gedächtnis durch Schrift zu sichern, trat der Wille zur Komposition von
Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft. So erwuchs die Aktualisierung von
Erinnerung zum gezielten Kampf gegen das Vergessen (Geary 1994) wie zur
Kreation von Vergangenheit aus changierenden Sehnsüchten der Geschichts-
freunde. Die wachsende Einsicht, dass es keine eindeutig objektivierbare His-
torie gibt, sondern sich diese nur in bunter Vielfalt aus den subjektiven Wahr-
nehmungen und Deutungen vergangener Texte, Bilder und Imaginationen
öffnet, verändert in neuester Zeit das Selbstbewusstsein der professionellen
Geschichtswissenschaft. Die methodische Spannbreite des Fachs bewegt sich
derzeit in einem ziemlich weiten Koordinatensystem. Es wird abgesteckt vom
bewährten Vertrauen, durch immer subtilere Formen der Quellenkritik zur
eindeutigen historischen Quelle und von dieser zur historischen Wirklichkeit
zu gelangen (Brandt 1992), und dem Fiktionalitätsverdacht, nach dem sich Ver-
gangenheit nur als literarischer Text präsentiere (Spiegel 1997).

Die aktuelle Integration der Neurowissenschaften in die Gedächtnisfor-
schung eröffnet derzeit neue theoretische Möglichkeiten und epistemologische
Diskussionsfelder. Auch wenn sich die beherzte Annahme der neuen Unsicher-
heiten noch ziemlich unübersichtlich gestaltet, zeichnen sich doch charakte-
ristische Unterschiede in der Bereitschaft zum Umgang mit Unschärfen ab.

* Prof. Dr. bernd schneidmüller ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Univer-
sität Heidelberg (2003-).

1 Ähnliche Gedanken zum Jahr 1125 als Unruhejahr in der hochmittelalterlichen Reichsge-
schichte wurden an der Katholischen Akademie Bayern vorgetragen. Die Publikation eines
Sammelbands über Staufer und Weifen in der Geschichte Münchens ist dort für 2009 vorge-
sehen. Dieser Beitrag nimmt manche Partien auf, verfolgt aber eine veränderte Fragestellung
im Hinblick auf Geschichtsschreibung als historische Überzeugungsstrategie.
 
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