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Heidelberger Volksblatt (2) — 1869

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Nr. 2 - Nr. 9 (6. Januar - 30. Januar)
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„Iſt es dir verboten, das zu ſagen?“ — Verwundert

ſchüttelte ſie das Köpfchen. „Wer ſollte es mir ver-
bieten und warum? Er hilft uns im Thiergarten ja
immer botaniſiren!“
Zornröthe ſchoß in ſein Geſicht. Helene trat ein.
„Noch nicht fertig?“ fragte ihr Mann beſtimmt.

Sie beachtete es nicht und wandte ſich an Uleſen.

„Da Sie uns zu der Partie einluden, Herr Magiſter,
hängt es von Ihnen ab, ob die Kleine mitkommen darf.
Sie wünſcht es ſo lebhaft und ich bitte Sie um dieſe
Erlaubniß.“ ö
Ueberraſcht hob er die Augen. Eine lichte Röthe
ſtieg in ihr Geſicht, um die feinen Lippen ſpielte ein
Lächeln. Der Ton war ganz ungewöhnlich freundlich,
ſie ſch ug den Blick vor dem ſeinen nieder. Das Er-
zwungene in Ton und Lächeln bemerkte er nicht, ver-
gaß ſeinen Unmuth und verſicherte artig: zweifelsohne
ſtehe es der Frau Doctorin frei, Thyra mitzunehmen.
„Laß Dich von der Tante fertig machen.“
Anna verſchwand. Das Dienſtmädchen brachte ihrer
Herrin Hut und Mantille. Auch die Frau Actuar er-
ſchien mit ihrem kleinen Enkel, lebhaft erfreut über
das gute Einvernehmen, welches einerſeits zwiſchen dem
Ehepaar, anderſeits zwiſchen ihrer Tochter und dem
Gaſte herrſchte. Ja, zwiſchen dieſen beiden letztern
ſchien es noch beſſer zu ſein, als zwiſchen Helene und
Ellſtädt. Während jener im Nebenzimmer zu dem Aus-

gang ſeine Vorbereitungen traf, ließ Helene ſich vom

Magiſter die bei ihrer Toilette wünſchenswerthe Dienſte
leiſten. ö

Uleſen's angenehme Ueberraſchung wuchs. Das hatte

ſie ja nie gethan. „Ha, war das nicht —?“ Er wollte
nach dem Fenſter ſtürzen.
„Bitte, knöpfen Sie mir den. Handſchuh zu!“ Helene
ſtreckte ihm die kleine Hand hin, nicht ohne Koketterie.
Er konnte nicht unterlaſſen, ihr eine Schmeichelei
zu ſagen, zuletzt ſogar die Hand zu drücken.

Die junge Frau erröthete bis zu den Schläfen und
Ihre Finger bebten in ſeiner

ſchlug die Augen nieder.
Hand.
„Ah!“ machte er unwillkührlich. Dann flog ſein
Blick zum Spiegel hinüber. Haum wiederſtand er der
Verſuchung, ſeinem Bilde zuzunicken, er mußte es wenig-
ſtens ſelbſtgefällig anlächeln. In ſeinen Augen mochte
es wenig hübſchere Männer geben. Mittelgroß, unter-
ſetzt, trotz ſeiner Jugend zum Embonpoint neigend, mit
rundlichem, glänzendem, vulgär „glauem“ Geſicht, zier-
lichem, hellblondem Bart und lebhaften Augen war er
wirklich nicht häßlich. Etwas Pfäffiſches, Jeſuittiſches
lag in den verſchwommenen Zügen — er ſelber gab
dieſem Ausdruck eine andere Bezeichnung. Das ſchlaue
Blinzeln der Augen ſtand ihm, nach ſeiner Meinung,
vortrefflich und erhöhte den Anſtrich des Geiſtreichen
und — Diplomatiſchen. Denn für einen gebornen
Diplomaten hielt er ſich, trug deshalb den Knoten fei-
ner Cravatte auch in eigenthümlicher Weiſe, wie er ihn
einſt in Kopenhagen an einem fremden Geſandten, der
inzwiſchen ein vielberufener Miniſter geworden, geſehen.

Die ſpitze Stirn war eiwas zu ſehr vom Haar ent-

blößt, die Schläfe zu weit nach hinten gerückt. Er
fand in dieſem Uebelſtand jedoch eine Schönheit, etwas
— Diplomatiſches. ̊—
Plötzlich wandte er ſich raſch, er hatte im Spiegel
ein ſo eigenthümliches Lächeln Helenens aufgefangen,
daß es ihn frappirte. —
Sie wechfelte wieder die Farbe. „Ich wünſchte,
mein Mann gäbe mehr auf ſein Aeußeres — ſo viel

wie Sie, Magiſter Uleſen.“

In leichtem Ton redete ſie dann von allem Mög-
lichen, unterhielt ihn ſehr gut, beſonders da er von
Zeit zu Zeit durch die offene Thür einen mitleidigen
Blick auf Ellſtädt werfen kounte, deſſen Aeußeres aller-
dings Mangel an Aufmerkſamkeit verrieth,. Wohlge-
fällig verglich er dann wieder im Spiegel ſeine Hal-
tung mit der nachläſſigen, zuſammengeſunkenen des

Helene trat in's Nebenzimmer. „Ellſtädt, ich bitte
Dich —“ Sie ſtreckte die Hand nach dem gefüllten
Glaſe aus. ö
Zornig fuhr er anf. „Kümmert's Dich?“ ö
„Deine Frau hat Recht!“ kam Uleſen ihr zu Hilfe.
Mit ſanfter Gewalt nahm er ihm das Glas fort und
leerte es ſelber. ö
Sie lächelte ihm zu, faſt krampfhaft.
es freundlich, dankbar — noch anders. ö
„Sie iſt heute wahrhaft allerliebſt. Blüht ja wie
eine Roſe und ſieh nur dies reizende, ich möchte faſt
ſagen herausfordernde Lächeln! Allen Reſpect vor
Deinem Geſchmack, Freund.“ Cr flüſterte ſo laut,
daß Helene es hören mußte.
Ellſtädt warf einen finſtern Blick auf ſeine Frau.

Collegen.

Er nannte

„Wo bleibt denn nur Hilda? Das dauert ja ewig!“

Uleſen ſchlug ſich vor die Stirn. „Es iſt wahr,
Iun kommen zu ſpät.“ Er öffnete die Thür. „Fröken
Hilda:“ ö
„Das Fräulein iſt mit Anna Thyra ſchon voran
gegangen und erwartet ſie auf dem Holm. Sie möch-
ten nur nachkommen,“ berichtete die Dienerin.
„Schon lange?“
„Ja, ſchon eine ziemliche Weile!“
„Darum ſah ich ihren Schatten am Fenſter. Ge-
wiß hat ſie ein Rendezvous mit dieſem Milchbart —
was?“ Er ſprach leiſe zu Ellſtädt, während Helene
ſich von ihrer Mutter verabſchiedete. ö ö
„Unſinn! Thomſen iſt ihr Jugendgeſpiele. War
als Kind bei meiner Schwiegermutter in Penſion.“
„Und das erfahre ich erſt jetzt? Solche Jugend-
bekanntſchaften ſind die allergefährlichſten. Nun wird
es mir plötzlich klar, woher ſie über alles, was die
Schule betrifft, ſo gut unterrichtet iſt. Raſch ihr nach!“
Er wollte hinausſtürmen. —
„Nehmen Sie uns doch mit,“ trat Helene ihm ent-
gegen. „Welcher Einfall von Hilda, voranzulaufen!“
Sie plauderten unterwegs ſo heiter, daß Uleſen

faſt vergaß, die Straße hinabzuſpähen, um an der

Biegung vielleicht noch die beiden Mädchen zu ſehen.
Aus Gefälligkeit für ihn beſchleunigte die junge Frau
ihren Schrittund war wirklich allerliebſt, wie er meinte.
 
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